Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
schreiben. Sie war einzig und allein gekommen, um etwas über die Mittelamerika-Touren und über das Dreierteam Dante, Umberto und Salvatore zu erfahren. Doch ob er einer wildfremden Frau freiwillig Einblick in seine Vergangenheit geben würde, war höchst zweifelhaft. Die meisten Männer, die sie kannte, redeten entweder ungern von persönlichen Angelegenheiten, oder aber sie machten eine Therapie und quatschten sich die Seele aus dem Leib. Es hieß also, sich abwartend vorzutasten, im richtigen Moment die richtigen Fragen zu stellen.
Sie gingen die breiten, ausgetretenen Stufen der zum Innenhof offenen Treppenaufgänge hinunter. Der Palazzo mußte früher einmal prächtig gewesen sein, jetzt wirkte er heruntergekommen: verdreckte Hauswände, abblätternde Farbe, dunkle Spuren von heruntergeronnenem Wasser unterhalb der Fenster.
»War schon mal wesentlich schlimmer«, sagte Dante, als hätte er ihre Gedanken erraten. »Fünfzehntes Jahrhundert, vor zehn Jahren restauriert.« Er holte Luft und setzte mit einem provozierenden Seitenblick hinzu. »Und? Welche Mordsthese wird heute serviert?«
Marlen blieb wie ertappt stehen, zog verständnislos die Augenbrauen zusammen. »Wieso Mordsthese?«
Dante grinste in sich hinein, ohne zu antworten. Irgend etwas führte er im Schilde. Unten, in einem Innenhof, wo Autos und Vespas parkten, schlängelte er sich zwischen den Fahrzeugen hindurch, bis zu einer kitschigen, aufgeklappten Muschel aus Stein. Er sagte, die untere Schale der Herzmuschel habe noch vor ein paar Jahren als Springbrunnen fungiert und sei damals giftgrün angestrahlt worden. Jetzt war sie verdreckt und diente allenfalls als Auffangbecken für Taubenscheiße und Zigarettenkippen. Aus der gegenüberliegenden Wand ragte zwischen zwei Autos ein steinerner Pferdekopf hervor, auf den Dante Marlen hinwies. »Da stoßen die Jahrhunderte aufeinander«, sagte er spöttisch. »Das Pferd ist in die Wand gelaufen und bewacht seinen Konkurrenten und Nachfolger: la macchina . Eine Nachbildung«, fügte er hinzu, »nicht das Auto, aber das Pferd. Das Original befindet sich im Museo Nazionale. Geschenk von Lorenzo il Magnifico an Diomede Garafa, 1471.«
Marlen mußte zugeben, daß sie weder die Muschel noch den Pferdekopf von selbst entdeckt hätte.
»Die Gegenwart verstellt den Blick auf das Vergangene«, sagte Dante noch einen Tick spöttischer. »Der Brunnen soll echt sein. Ein Bellini. Damit hat der gute Bellini posthum erreicht, was ein nachmodellierter Pferdekopf, die Bedürfnisse der Bewohner und die Häuserkämpfe der siebziger Jahre nicht bewirken konnten: den Erhalt des Erhaltenswerten.«
Marlen runzelte die Stirn. Was nützte ihr ein gesprächiger Mann, wenn er in Rätseln sprach und sich obendrein über sie lustig machte?
Dante plapperte bereits etwas von Demonstrationen gegen die Verfilzung von Bauunternehmen, Politikern und Camorra, von Altstadtspekulation, Palastbesetzungen und einer dokumentarischen Fotoausstellung über den elenden Zustand der vergammelnden Palazzi in der Altstadt und den Prunk der heraus geputzten Villen der Sagenhaften.
»Der Sagenhaften?«
»Derjenigen, die das Sagen haben und die sagenhaft leben. Die die Gelder einstreichen. Während die Altstadt verkommt, absichtlich, mit wohlspekulierenden Hintergedanken. Kennst du doch sicherlich auch aus Deutschland. Es leben der Kapitalismus und der Narzißmus, oder: So bin ich zu dieser Wohnung gekommen.«
»Geerbt?« fragte Marlen.
»Geschenkt«, sagte Dante triumphierend. »Jedenfalls fast. Die Miete, meine ich. Ein progressiver Stadtrat aus einflußreicher Familie fand irgendwann heraus, daß besagter Brunnen von Bellini stammt. Und weil dieser Mann nicht nur progressiv war, sondern zudem aus einer einflußreichen Familie stammte, und weil er sich verantwortlich fühlte für das kulturelle Erbe dieser Stadt, das jahrelang den machtpolitischen Spielchen zum Opfer fiel, konnte er sich durchsetzen. Mit seiner Entdeckung hat er dem Palazzo das Ansehen gerettet, sprich: die Fassade erhalten, um nicht zu sagen das Leben, was zu prosaisch wäre, wie du siehst, wenn du dich umsiehst. Und uns von der Straße geholt. Was wiederum zu poetisch klingt. Mit anderen Worten: Uns eine größere Wohnung beschafft.«
Dante lachte. Marlens Verwirrung war ihm augenscheinlich eine Riesenfreude. Er spazierte gestikulierend durch den Innenhof und beobachtete aus dem Augenwinkel die Stimmungslage seiner Begleiterin. Insgeheim wartete er darauf, ob sie platzte,
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