Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Einspruch erhob oder von selbst zur Sache kam. Marlen zwang sich zur Geduld. Dieser Dante war nicht dumm, und irgendeinen Sinn würde auch diese Geschichte über neapolitanische Baupolitik haben. Es kam ihr vor, als spiele er mit ihr Katz und Maus. Und als wisse Dante ganz genau, was sie wirklich von ihm wollte.
»Ich nehme an, das war vor der Mittelamerikazeit«, unternahm Marlen einen vorsichtigen Vorstoß in die richtige Richtung.
»Ist lange her, wie Eduardo schon richtig sagte. Um es kurz zu machen: Unsere Fotos bei der Ausstellung gefielen diesem Stadtrat. Das heißt, eigentlich hatte Salvatore die Fotos gemacht, ich die Texte, und Umberto hat sich um die Öffentlichkeitsarbeit gekümmert.« Ein Schatten huschte ihm über das Gesicht. »Die Ausstellung machte – auch mit Hilfe dieses Stadtrats – Furore, und zwar nicht nur in den Kreisen, wo sowieso alle schon alles wissen und aufgeklärt genug sind. Und dann bekamen wir tatsächlich die Wohnung, die wir vorübergehend besetzt hatten. Einmalige Leistung der Geschichte.«
»Ihr drei?« fragte Marlen.
»Wir drei«, nickte Dante. »Salvatore, Umberto und ich. Gehen wir weiter?«
»Woher weißt du, daß ich mit dir über Salvatore und Umberto und über damals sprechen möchte?« fragte Marlen, als sie auf der Piazza San Domenico Maggiore standen und den Palazzo von außen betrachteten.
»Du bist nicht die erste«, sagte Dante schlicht.
»War Giorgio da?« fragte sie. Jetzt verstand sie auch die Anspielung mit der »Mordsthese«.
»Wenn du damit diesen lächerlichen jungen Schnösel meinst, der sich in den Kopf gesetzt hat, uns als Drogenbosse zu überführen …« Dante kratzte sich am Kopf, dabei rutschte der Ärmel des Sweatshirts hoch, Marlen sah die Einstiche am Unterarm und dachte sich ihren Teil.
»Du wirst sicher ein Alibi haben«, sagte Marlen, und Dante neigte zum Zeichen, daß er verstanden habe, leicht den Kopf. »Drogengeschichten interessieren mich in diesem Fall nicht.«
»Sehr weise«, nickte Dante.
»Mich interessiert dieser Mittelamerikahandel«, fuhr Marlen fort. »Ich will etwas über Umberto schreiben. Eine Art Lebensrückblick. Seine Witwe war mit Auskünften eher sparsam. Und als ich von Giorgio hörte, daß da damals diese Geschichte lief, dachte ich…«
»Und warum redest du mit mir und nicht mit Salvatore?« fragte Dante. Sie gingen hintereinander die enge Gasse hoch, denn immer wieder kamen Autos. Keine guten Bedingungen für ein Gespräch. Aber eine gute Pause, um sich über eine Antwort klarzuwerden. Marlen wollte eigentlich nichts von ihrer ganz privaten Begegnung mit Salvatore erzählen. Andererseits hatte sie den Eindruck, diesem Dante gegenüber offen sein zu müssen, damit auch er mit offenen Karten spielte. Er war aufmerksam, hochsensibel, registrierte jede Geste, jeden Gedanken. Den Versuch, sich durchzuschummeln, würde er durchschauen. Außerdem hatte sie wirklich nichts zu verlieren. »Wir haben einen Nachmittag miteinander verbracht«, sagte sie schlicht, als sie in der Via Tribunali wieder nebeneinander gehen konnten. »Salvatore hat mir das unterirdische Neapel gezeigt. Seither ist er verschwunden.«
»Der Tod ist in Neapel immer mit von der Partie«, brummte Dante zynisch und zeigte auf den bronzenen Totenkopf, der vor einer unscheinbaren Kirche auf einem Pfeiler ruhte und immer eine rote Nelke zwischen den Zähnen trug. »Du hast Angst, daß es ihn auch erwischt hat?«
Marlen blieb abrupt stehen und starrte ihn an. Auf die Idee war sie noch gar nicht gekommen. Bisher, vor allem auch nach dem Besuch bei der Mutter, hatte sie immer vermutet, daß Salvatore abgetaucht war, weil er irgend etwas wußte. Daß auch er, genauso wie Umberto, möglicherweise in einem dunklen Gang irgendwo unter ihren Füßen lag, hatten weder sie noch Livia in Betracht gezogen. Ihr brach der kalte Schweiß aus. Hinter ihr hupte ein Auto, sie sprang wie ein Kaninchen zur Seite. Dante faßte sie am Arm, zog sie in eine düstere, schmutzige Bar und bestellte zwei Espresso und zwei Grappa.
»Hier gibt es den besten Espresso in ganz Neapel«, sagte er. »Selbstgebrannt.«
Marlen nickte beklommen. Einen Kaffee konnte sie gebrauchen, über Kaffee reden mochte sie nicht. »Was ist mit Salvatore?« fragte sie und packte Dante am Arm. »Was weißt du? Sag’s. Bitte.«
»Nichts weiß ich«, gab Dante zur Antwort. »Ich weiß nur, daß ich nichts weiß. Manche Leute ziehen es zeitweilig vor, sich selbst aus dem Verkehr zu ziehen. Vielleicht
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