Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Liste. Die Bilder wurden einfach aus den Depots herausgeholt und verliehen. Ohne daß es irgend jemand verzeichnet hätte. Und nun taucht wie aus heiterem Himmel doch so eine Liste auf … Entweder sie ist gefälscht, oder…«
»Entweder jemand hat geplaudert oder damals mitgeschrieben, oder die Liste ist eine Fälschung und reine Provokation.«
»Auch möglich«, sagte Rosaria nachdenklich. »Oder die Bestechungsgelder sind ausgegangen. Oder aber sie waren zu niedrig. Also, wenn diese Liste stimmt und wenn das wirklich ans Licht kommt, dann haben die Carabinieri jedenfalls wieder jede Menge zu tun. Dreißig Prozent aller aus geliehenen Werke, alle Achtung!«
Rosaria fuchtelte dabei wild mit den Armen durch die Luft, als wollte sie ein Orchester dirigieren. »Man muß sich das mal lebhaft vorstellen, du bist Direktor von irgendwas, beantragst einen Modigliani aus einem staatlichen Museum, erhältst ihn als Leihgabe für dein Büro, das reinen Repräsentationszwecken dient, und nach ein paar Jahren ist dieser Modigliani einfach verschwunden, durch die Wand geschlüpft und futsch. Das kommt in den besten Familien vor, und nur dort. Und wenn dann eine Anfrage vom Museum kommt, heißt es, ach ja, der Modigliani, was, der hing bei mir, stimmt, der ist nicht mehr da, daß ich das nicht bemerkt habe, den hat doch tatsächlich jemand mitgehen lassen.« Sie ließ die Arme sinken. »Was ist das nur für ein Land, in dem wir leben.«
»Das Land, wo die Zitronen blüh’n«, sagte Livia lakonisch.
»Die wachsen wenigstens jedes Jahr neu.« Rosaria zeigte auf die Wände. »Gut, daß deine Bilder noch da sind.«
»Wäre ja noch schöner«, schnaubte Livia. »Wer weiß, vielleicht würden sie über Nacht ihren Wert vervielfachen, wenn jemand sie sich unter den Nagel reißen würde.«
Sie erzählte von ihrer letzten Begegnung mit Roberto und von seinem Versuch, sich wegen der Sache mit dem Kunstspektakel zu entschuldigen. »Apropos, hast du schon ein Geschenk?«
Natürlich nicht. Rosaria schlug sich vor die Stirn. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. »Kann ich mich bei dir einklinken?«
»Ich hab selbst nichts.«
Livia dachte nach, griente dann über das ganze Gesicht, als habe sie soeben einen wunderbaren Streich ausgeheckt. »Ich hab’s. Wo wir gerade das Thema am Wickel hatten – wie wär’s mit einem netten Bild für sein Büro? Kahle Wände? Wir helfen ab. Ihm ist immer eindeutig unbehaglich zumute, wenn er sich meine Porträts ansieht…«
Rosaria war begeistert. »Wir schenken ihm einen Gutschein: ein Porträt der Malerin Livia Picone. Er muß sich nur die Zeit für die Sitzungen nehmen, und du sagst mir, wie hoch mein Anteil ist.«
Die letzte Rate der zuckersüßen Rache. Im Geiste sah Livia Roberto vor sich: das glatte Gesicht, die noch dunklen Haare, wenige graue Härchen an den Schläfen, die hellen, vertrauenerweckenden Augen – und die zusammengekniffenen Lippen, das heruntergeschluckte Frohe, die angestrengte Leutseligkeit, die zum Erfolg geführt hatte. Erfolg und was er gekostet hatte und was dahinter stand. Sie würde versuchen, dieses Gesicht zu malen. Einem geschenkten Gaul sah man nicht ins Maul.
34
Marlen hatte die Stelle gefunden, wo Malaparte auf die Vertreibung der Deutschen zu sprechen kam, und auch die Szene mit dem Panzerwagen, der innerhalb von zwei Stunden vollständig auseinandergeschraubt und zerlegt wurde und bis auf eine Ölspur auf dem Basalt und eine vergessene Schraube vom Erdboden verschwand. Die Haut , ein zutiefst ironisches, häßliches, amüsantes, dann wieder bitterböses, erbarmungsloses, unverhohlen ehrliches, sinnliches Buch, das ihr buchstäblich unter die Haut gegangen war. Malaparte bohrte, wie es schien, so lange mit dem Finger in einer Wunde, bis man nicht mehr wegzusehen wagte. Und wenn die Versuchung, das Buch angeekelt zur Seite zu legen, überhand nahm, nahm wiederum Malaparte, so schien es, den Leser bei der Hand und führte ihn, sanft, liebevoll auf ihn einredend, fort, machte einen kleinen Umweg, einen seelentröstenden Erholungsschlenker – bis zum nächsten Skandal, den der Zweite Weltkrieg im Grunde darstellte, dachte Marlen: einen einzigen kontinuierlichen Skandal, der sich aus Millionen winziger Skandale zusammensetzte, von denen jeder für sich einen Aufschrei des Schreckens hervorriefe, würde man genau hinsehen, so, wie Malaparte hinsah, der nichts anderes tat, als nicht zu beschönigen und die Dinge unerbittlich beim Namen zu nennen: die
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