Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
älteres Ehepaar beugte sich über das offene Grab, offensichtlich die Eltern Fiorillas, die Ähnlichkeit mit dem Mann war unverkennbar. Außerdem umstanden das Grab: zwei Angestellte des Bestattungsinstituts mit anstudierter Trauermiene, der Geschäftsführer aus den Vini Divini Francesi, der Marlen bereits bemerkt und mit einem giftigen Blick bedacht hatte, der jedoch ebensogut Giorgio gelten konnte, der neben ihr stand.
Die Trauergesellschaft löste sich allmählich auf. Die beiden Frauen kondolierten erst Fiorilla, dann der alten Dame, Umbertos Großtante, und schließlich Fiorillas Eltern. Marlen sprach die Mutter auf deutsch an, die überrascht auf deutsch antwortete. Sie tauschten ein paar Höflichkeitsfloskeln aus. Fiorilla, selbstverständlich ganz in Schwarz und völlig gefaßt, blickte durch Livia und Marlen hindurch, als habe sie sie noch nie im Leben gesehen.
33
»Man sollte alle Haupt-, Neben- und Feriendomizile einer gewissen Gesellschaftsschicht durchforsten, und die Hälfte aller geklauten Kunstschätze Italiens würde wieder auftauchen«, lautete Rosarias These. »Angefangen bei all denen, gegen die wegen Korruption, Bestechung, Unterschlagung, Begünstigung und Zusammenarbeit mit einer mafiosen Vereinigung ermittelt wird, und dann alle Politiker und höhere Angestellten des öffentlichen Dienstes, Bankdirektoren, Fabrikbesitzer, Showmaster…«
»Ein wirklich anarchischer Ansatz«, unterbrach Livia sie spöttisch. »Warum schreibst du das nicht in die Einleitung zu unserer Dokumentation und reichst gleichzeitig die Kündigung ein?«
»Ist doch wahr«, beschwerte sich Rosaria, die einen der schlechten Tage hatte, an denen sie den Frust über ihre Sisyphostätigkeit wild entschlossen herausposaunte, um anschließend mit neuer Kraft Weiterarbeiten zu können. »Wir dokumentieren und sammeln und machen und tun, um diese Ausstellung vorzubereiten, und die Herren Carabinieri entdecken alle Jubeljahre mal ein Depot mit ehemals intakten, jetzt ramponierten, arm- oder sogar kopflosen Statuen, mit flügellosen Engeln, Marmorfragmenten, irgendwelchen Säulchen irgendeiner Balustrade aus irgendeiner Kirche, und das meiste davon läßt sich nicht einmal mehr zuordnen.«
»Immerhin sind auf diese Weise die beiden Putten aus San Paolo Maggiore wieder auf getaucht«, wandte Livia ein. Sie war trotz der Beerdigung am Vormittag unbeirrt guter Dinge, am Abend war sie mit Jean verabredet, und die Dinge gingen voran.
»Meinst du etwa das Depot in Viterbo?« Rosaria lachte höhnisch auf. »Selbst da sind sich die Fachleute noch nicht einig. Meine Putten, deine Putten, unsere Putten, kannst du gern durchdeklinieren, wenn sie gut erhalten sind, haben sie auf einmal in allen möglichen Kirchen im Friaul, in der Toskana, in Apulien gehangen, und jeder will sie haben. Ach, zum Teufel damit!«
Sie waren dabei, den Teil der Ausstellung zu planen, der die recuperi umfaßte, die einst gestohlenen, dann meist per Zufall wiedergefundenen Kunstobjekte. Livia setzte in Gedanken bereits die Statue aus Jeans Wohnzimmer und die beiden Engel aus Fiorillas Schlafzimmer unten auf die Liste. Und das war bestimmt noch nicht alles. Sie war davon überzeugt, einem gigantischen Kunstraub auf der Spur zu sein, in den Umberto, eventuell Fiorilla, vielleicht Jean und möglicherweise auch Salvatore verwickelt waren. »Gib mal her, die Liste.« Sie las vor: »Zwei Marmorlöwen vom Fuß des Hochaltars aus der Kirche San Domenico Maggiore, gestohlen 1984, wiederaufgetaucht 1985 in Neapel; zwei Cherubime vom Hochaltar der Kirche Santa Maria delle Grazie a Caponapoli, gestohlen 1985, wiederaufgetaucht 1985 in Viterbo; Puttenpärchen aus der Kirche San Paolo Maggiore, Cappella delle Madonna della Purità, gefunden 1988; Gemälde von Luca Giordano, Crispano, Kirche von San Gregorio Magno, gestohlen und wiederaufgefunden 1991.«
»Da waren sie aber mal schnell!«
»Gemälde von Aniello Aloysio, Palazzo Reale di Napoli, gestohlen 1990, wiederaufgetaucht 1993; Unbekannter Maler des 18. Jh., Gemälde Madonna mit Kind, gestohlen 1979, gefunden 1994 in Neapel; 34 Pfeiler der Balustrade des Hochaltars sowie das Wappen eines Grabmals mit der Justitia und der Prudentia von Annibale Caccavello, gestohlen 1984 aus der Kirche Santa Maria delle Grazie a Caponapoli, wiedergefunden 1985 in einem Lager für Marmorbüsten in Viterbo; Cherubime von Dionisio Lazzari, gestohlen 1983 vom Altar der dritten Kapelle rechts aus der Kirche Santa Maria delle Grazie a
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