Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Caponapoli, wiedergefunden 1985, keine Ortsangabe; Balustrade aus der Kirche Santa Maria Vertecoeli, gestohlen vor 1985, gefunden 1993 in Madrid!«
»Donnerwetter, es wird international!«
»Zwei Weihwasserbecken, geraubt 1985 in Santa Maria di Vertecoeli, wiederentdeckt bei einem Sotheby-Verkauf, keine Jahresangabe; Putten, 1979 aus der Kirche del Gesù e Maria entwendet, wiederentdeckt 1987 in der Zeitschrift Il giornale del Varte anläßlich der Antiquitätenmesse im Palazzo Strozzi in Florenz,«
»Unglaublich!«
»Hör dir das an! Balustrade, geraubt 1982 in Santa Maria di Vertecoeli, wiedergefunden 1993 in Madrid, erstmals wiederaufgetaucht im Katalog der Antiquitätenmesse im Palazzo delle Esposizioni in Rom.«
Livia ließ die Liste sinken. »Klingt doch recht erfolgreich.«
Rosaria schnaubte verächtlich. »Besonders im Vergleich zur zehnmal so langen Liste mit den noch vermißten Werken. Laß mich bloß zufrieden mit deinem Zweckoptimismus. Madrid, London, Rom – das sind doch alles Zufälle. Irgendein Stück wird gestohlen, und wenn es wertvoll genug ist, wird es in die Schweiz verschickt, wegen der guten Luft und der hohen Berge und der Nummernkonten, und erhält dort eine neue Identität, dann geht’s weiter über den Kanal zu einem hochdotierten Sotheby-Verkauf oder über die Alpen nach München, Hamburg, Wien, Stockholm, Städte gibt’s genug, Kunsthändler, Auktionshäuser und Kunstliebhaber auch. Der Rest landet in Amerika. Oder umgekehrt. Es ist letztlich völlig egal.«
»Hat Corrado schon was rausgefunden?«
Rosaria schnalzte mit der Zunge. »Nichts, was unsere speziellen Anfragen anbelangt.«
»Sondern?«
Corrado sei einer anderen Geschichte auf der Spur, die, sollte sie je auf gedeckt werden, wesentlich heißer zu werden versprach, sagte Rosaria. In Italien war es seit Jahrzehnten gang und gäbe, daß von den staatlichen Museen Leihgaben an ebenfalls staatliche Ämter und Institutionen ergingen – überwiegend Gemälde und Plastiken und Keramikarbeiten, die dann in Direktorenzimmern, Sitzungssälen, hochrangigen Korridoren ausgestellt wurden. Jede Menge Kunstwerke wurden somit dauerhaft aus den Depots entliehen. Eine im Grunde sinnvolle Aktion: besser, die Kunstwerke wurden einer – wenn auch aus gewählten – Öffentlichkeit zugänglich gemacht, als daß sie jahrelang in dunklen Depots vor sich hin staubten.
Alarmierend hingegen war die Tatsache, daß ein zunehmender Schwund festzustellen war. Viele der ausgeliehenen Kunstobjekte waren schlicht und einfach von der Bildfläche verschwunden.
»Aus den Katasterämtern, den Rathäusern, der Rundfunkanstalt, den staatlichen Industriebetrieben, den Arbeitsämtern, ich kann sie dir gern alle aufzählen …«, sagte Rosaria, »… aus den Finanzämtern, den Polizeipräsidien, den Kulturbehörden … Laut Corrado bisher an die dreißig Prozent der Gesamtausleihe, stell dir das mal vor!«
»Hat das denn nie jemand überprüft?« fragte Livia irritiert. »Es muß doch Listen gegeben haben. Und Fristen. Irgendeine Abteilung, die sich darum kümmert.«
Sie hatten zwar selbst tagtäglich mit Kunstraub zu tun, doch das betraf den Bereich des organisierten Verbrechens, die kleineren und größeren Banden, die in den letzten Jahren aus dem Osten Europas Verstärkung und Konkurrenz erhalten hatten, was den Kunstmarkt um einiges härter machte und die Arbeitsbedingungen auch. Aber das hier war etwas anderes. Hier beklaute, wenn man so wollte, der Staat den Staat. Niedrige, mittlere, höhere Angestellte des öffentlichen Dienstes ließen mitgehen, was man mitgehen lassen konnte, beziehungsweise ließen sie sich dafür bezahlen, daß sie beide Augen zudrückten, oder aber sie heuerten jemanden an, der für sie tätig wurde – der Gipfel des Infamen. Und letztlich nur eine weitere logische Konsequenz des durch und durch korrupten Landes.
»Unglaublich!« Livia stieß die Luft aus.
»Es kommt noch besser«, sagte Rosaria und senkte die Stimme. »Eine Liste der verschwundenen Objekte ist aufgetaucht. In einer abseitigen Computerdatei. Niemand weiß, woher sie kommt. Die Sache ist streng geheim und offenbar nicht ungefährlich.«
»Wenn es eine Liste gibt, kann man doch leicht herausfinden, wann, wo und an wen welches Objekt ausgeliehen wurde«, wandte Livia ein.
»Das ist es ja gerade«, sagte Rosaria, die während ihrer Ausbildung zur Juristin zweimal sechs Monate in staatlichen Betrieben ein Praktikum gemacht hatte. »Es gibt keine solche
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