Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
wären. Und die, die ihr nicht recht waren, wollte sie in diesem Moment überhaupt nicht hören. »Ich habe einen heißen Draht zur Drogenszene. Soll ich dir was besorgen?« Oder: »Ja, ich habe Umberto umgebracht.« Undenkbar! Nein! Sie wollte nichts wissen. Nichts, was diese Nacht stören oder gar zerstören könnte. Lieber verzichtete sie auf ihre Fragen. Und wenn der Mann neben ihr eine Unzahl an Fragezeichen barg – gut so! Was wußte er umgekehrt denn schon von ihr … Sie wußten nichts vom Vorher und Vorvorher des anderen, das manchmal innere Türen öffnete und manchmal zufallen ließ. Sie hatten einander gespürt, rundum, das war mehr als genug. Zur Abwechslung eine Begegnung der überirdischen Art, dachte sie lächelnd. Sie glitt unter das Laken, wo es keine Fragen gab und keine Antworten, nur Begehren und Schlaf.
Sie wachte davon auf, daß eine Tür klappte. Einen Augenblick wußte sie weder, wo sie war, noch, daß jemand neben ihr gelegen hatte. Schlagartig fiel es ihr wieder ein, sie tastete nach dem Körper neben sich, das Bett war leer. Sie schaltete das Licht an. Es war kurz nach halb fünf. Neben dem Bett ein Haufen abgeworfener Klamotten, schwarzes Jackett, T-Shirt, eine Jeans, eine zweite Jeans, sie atmete auf, ein dunkelblaues Sweatshirt, auch der Ärmel einer schwarzen Männerlederjacke spitzte hervor: Er war noch da, hatte sich nicht einfach davongemacht.
Sie stand auf, ging in die Küche, holte sich ein Glas Wasser. Die Tür zu Livias Schlafzimmer stand auf – die zweite Nacht bei Jean, folgerte Marlen, ging hinüber ins Wohnzimmer und öffnete das Fenster. Sie hörte leises Rauschen, nicht vom Regen, sondern aus dem Badezimmer, dann das Klappen der Badezimmertür. »Ich bin hier«, rief sie leise. Das Tappen nackter Fußsohlen auf dem Kachelfußboden, er umschlang sie von hinten, sie wiegten sich, wiegten ihre Lust, die zugleich schlummerte und lauerte, ohne Hast, ohne daß es sie eilig zu irgend etwas drängte. Sie dachte, wir könnten uns fallen lassen, es auf dem nackten Boden treiben, wir könnten ebensogut stundenlang hier stehen und warten, bis der Morgen kommt. Und beides wäre gut.
»Frag mich lieber nichts«, sagte er nach einer Weile. »Je weniger du weißt, desto besser.«
»Ich weiß«, murmelte Marlen. »Auch wenn für mich normalerweise eher das Gegenteil gilt: Je mehr ich weiß, desto besser.« Sie schwieg. »Je mehr ich weiß, desto weniger weiß ich. Läuft aufs gleiche hinaus, findest du nicht?«
Er lachte lautlos.
»Ich will gar nicht wissen, weshalb du hier aufgekreuzt bist und mich halb zu Tode erschreckt hast, statt einfach anzurufen«, murmelte sie und streichelte seine Beine.
»Oh, dabei ist die Frage leicht beantwortet, auch wenn es keine war«, sagte er und küßte sie auf den Hals. »Ich wußte nur, daß du hier wohnst, nicht bei wem.«
Marlen entwand sich, drehte sich um, sah ihn an. Hatte er etwa das Buch samt Adresse und Telefonnummer, das sie bei seiner Mutter abgegeben hatte, nicht erhalten?
»Welches Buch?« fragte Salvatore verdutzt. »Und bei wem hinterlassen?«
» Die Haut «, sagte Marlen verschmitzt. »Bei deiner Mutter. Delle Donne, so heißt du doch, oder?«
Salvatore begann zu lachen, verschluckte sich, hustete. »Ein Buch von Malaparte? Du warst bei meiner Mutter?«
Es war Marlen unangenehm. Um die Mütter ihrer Liebhaber hatte sie bisher stets einen großen Bogen gemacht. Dies war das erste Mal, daß sie den Weg über die Familie gegangen war. Lag es daran, daß sie sich in Neapel befand? Die deutschen Männer, die sie kannte, wären jedenfalls ausgerastet. Doch Salvatore zeigte keinerlei Anzeichen von Empörung. Im Gegenteil. Die Sache schien ihn zu amüsieren.
»Meine Mutter ist hochgradig eifersüchtig. Seit Ewigkeiten: Meisterin im Nichtausrichten von Telefonanrufen, sofern weibliche Stimme am Apparat. Sie hält den Weltrekord im Verschwindenlassen von Briefen. Und jetzt auch noch im Zurückhalten wichtiger Dokumente.« Er lachte auf. »Das würde sie natürlich nie zugeben, la mia cara mammina . Da warst du an der falschen Adresse.« Er zog sie zu sich heran, fuhr mit den Lippen über ihr Ohr. »Aber es scheint dir ja ein tiefgehendes Anliegen gewesen zu sein, mir noch einmal über den Weg zu laufen«, flüsterte er.
»Und dir, dich aus dem Staub zu machen«, flüsterte Marlen zurück.
»Anspielung?«
»Nein, Tatsache.«
»Mir wird kalt.«
»Mir auch.«
Sie gingen zurück ins Bett. Marlen holte zwei Weingläser aus der
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