Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
pietätheischende Angelegenheit.
Marlen musterte die Menschen und fragte sich, ob der Mann im tadellos sitzenden schwarzen Anzug von der Kripo sei oder vom Bestattungsinstitut oder einer der Geschäftsführer. Ob Fiorilla Umbertos Freunde von früher benachrichtigt hatte? Ob Agnese di Napoli da sein würde, als Freundin, als Stütze? Und die Großtante?
Drei elegante schwarze Autos fuhren durch das Portal. Vorweg der Leichenwagen. Im zweiten Wagen erkannten die Frauen Fiorilla und eine alte Dame. Im Fond des dritten Wagens saßen zwei ältere Leute, vermutlich Fiorillas Eltern. Fast alle Wartenden setzten sich nun in Bewegung und folgten unter diskretem Gemurmel und riesigen, ebenfalls dunklen Regenschirmen dem motorisierten Teil des Trauerzugs. Fast nur Männer, lediglich zwei ältere, korpulente Damen. Salvatore war nicht zu sehen, ebensowenig Dante. Und keine einzige jüngere Frau, die man für eine der Geliebten Umbertos hätte halten können. Livia hatte Jean über den Termin informiert, sie hoffte unter anderem, er könnte sie mit Agnese di Napoli bekannt machen, der er mehrmals in Begleitung von Salvatore im Haus der Cacciapuoti begegnet sein mußte. Bisher war Jean jedoch nicht aufgetaucht, vielleicht steckte er auf der Tangenziale im Stau.
Ein besonderes Augenmerk Livias galt den männlichen Trauergästen. Doch selbst wenn sie ihnen mit ihrem Malerinnenblick versuchsweise eine dunkle Sonnenbrille auf die Nase setzte, sah keiner von ihnen so aus wie der Unbekannte in dem BMW, der Fiorilla zu Hause ab geholt hatte. War es also doch kein guter Freund Umbertos gewesen? Oder ein zu guter Freund Fiorillas, als daß es schicklich war, sich auf der Beerdigung ihres Mannes zu zeigen?
Marlen stieß Livia an, nickte in Richtung Ausgang, von wo sich ein junger Mann in energischem Laufschritt näherte: der Journalist Giorgio Limoncelli, der nach wie vor die Absicht hegte, den mutmaßlichen Drogendealern Umberto, Salvatore, Dante und damit gleich der ganzen neapolitanischen Camorra das Handwerk zu legen.
»Und du diesem Salvatore.«
»Ich bin bescheiden«, grinste Marlen. »Ich will nur einen Mann.« Sie fragte sich, wo eigentlich die Betonung lag, bei der Anzahl oder dem Geschlecht.
Sie näherten sich dem offenen Grab. Die Trauergäste schwiegen andächtig. Es regnete noch immer in Strömen. Marlen und Livia hielten sich in gebührlichem Abstand.
»Das sind die Geschäftsführer aus Bologna und Florenz«, flüsterte Giorgio Marlen ins Ohr und zeigte auf zwei Herren in dunklen Mänteln. »Der Dicke da drüben ist der Geschäftsführer des Ladens in Neapel. Die anderen drei sind von der Konkurrenz. Der da ist von der Kripo, mein Kontaktmann.« Ein beleibter Herr beugte sich vor. »Dem gehört das Hotel Vesuvio. Dem da das Ristorante Quattro Fontane. Direktor des Bellavista. Geschäftsführer von Alfa Lancia.«
Der Journalist versorgte die beiden Frauen, fast ohne dabei die Lippen zu bewegen, flüsternd mit Namen, Berufen, Besitztümern. »Von wegen Beisetzung im familiären Kreis. Die Witwe hat alle wichtigen Geschäftspartner eingeladen. Kluge Maßnahme, wenn sie am Ball bleiben will. Aber vielleicht handelt es sich ja auch um Geschäftsverbindungen der besonderen Art. Wer es in Neapel so weit gebracht hat, kommt um bestimmte Kontakte nicht herum – und sei es, daß er deftige Schutzgelder zahlen muß. Der Besitzer des Bellavista ist zum Beispiel mit der Nichte eines Camorrabosses verheiratet«, raunte er. Er rieb sich die Hände, die Umstehenden sahen ihn mißbilligend an.
Fiorilla Cacciapuoti warf soeben einen Strauß dunkelroter Rosen in ein Erdloch. Erstaunlicherweise hatte sie sich am Telefon zu einem erneuten Gespräch mit Marlen und Livia bereit erklärt, selbstverständlich erst nach der Beerdigung. Und aus Gründen der Pietät – in Neapel werde viel geklatscht und getratscht, auch sie müsse sich an gewisse Regeln halten – hatte sie darum gebeten, es nicht herumzuerzählen. Eine Witwe, die einen Tag nach der Beisetzung ihres Mannes bei sich zu Hause Journalisten empfing, würde ins Gerede kommen. Dabei hatte diese Witwe, von wegen Pietät und Takt, nicht einmal vor der Beisetzung den Weinladen schließen lassen. Da war doch etwas faul.
Die Frau mit den schulterlangen, lockigen, dunkelrot getönten Haaren, bei der Fiorilla sich eingehakt hatte, war unverkennbar Agnese di Napoli, die Ex-Freundin von Salvatore und gute Freundin des Hauses. Marlen erkannte sie sofort anhand der Fotos der LAES. Ein
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