Der Tote vom Kliff
… Wenn es bei
Ihnen ein akutes Problem gibt, so könnte ich Ihnen vorübergehend aushelfen.«
Lüder warf seinem Nachbarn einen kurzen Blick zu. »Das
stimmt«, sagte er. »Aber vielen Dank. Ich musste nur ein wenig umdisponieren.«
Den Rest des Weges bis zum Landeskriminalamt schwiegen
die beiden Beamten.
Große Jäger bewegte sich in den Räumen der Behörde,
als wäre es seine Dienststelle. »Ich besorge mir einen Kaffee«, sagte er und
verschwand in Richtung des Vorzimmers von Nathusius, in dem Edith Beyer ihm mit
einem mädchenhaften Lachen entgegensah und ihn mit frisch gebrühtem Kaffee
versorgte.
Lüder zögerte, ob er zu Hause anrufen und Margit von
seinem Besuch bei der Bank berichten sollte. Er unterließ es, um sie nicht zu
beunruhigen. Dann fiel ihm ein, dass er ihr doch davon erzählen musste,
schließlich konnte sie übers Wochenende nicht über das Konto verfügen. Er
müsste noch einmal zum Geldautomaten und mit seiner Kreditkarte für eine hohe
Gebühr Bargeld abheben.
Lüder wollte den Kriminaldirektor aufsuchen, aber
Nathusius war nicht im Hause. Er würde heute auch nicht mehr ins
Landeskriminalamt zurückkehren, richtete Edith Beyer ihm aus. Lüder hatte den
Hörer gerade zurückgelegt, als ihn ein externer Anruf erreichte.
»Dittert«, meldete sich der Reporter des
Boulevardblatts. »Man hat mir zugeflüstert, dass Sie bei der Gruenzweig-Sache
mitmischen, Lüders.«
»Erstens heißt das Herr Lüders. Das sollten Sie
wissen, Dittert. Und außerdem würde ich an Ihrer Stelle einen Ohrenarzt
aufsuchen. Wenn es im Gehörgang flötet, nennen es gebildete Leute Tinnitus.«
»Nun fühlen Sie sich doch nicht angepinkelt.«
»Sie sprechen so, wie Sie schreiben. Waren Sie in
Norditalien auf der Journalistenschule?«
»Wieso?«
»In Pisa. Und wenn Sie meine Telefonnummer kennen,
wissen Sie sicher auch die Durchwahl der Pressestelle. Dort sitzt ein überaus
kompetenter Kollege.«
Lüder legte auf, ohne die Antwort abzuwarten. LSD – wie er Leif Stefan Dittert
abkürzte – war einer der Reporter, die nicht ohne Geschick aus einer Story die
Fäden herauspickten, aus denen sie eine Geschichte aus Halbwahrheiten und
Vermutungen strickten. Um sich rechtlich abzusichern, wurden abenteuerliche
Thesen in der balkendicken Schlagzeile mit einem Fragezeichen versehen, das
aber nicht ins Bewusstsein der Leser drang. Dort blieb nur der Schlagtext
hängen. Und das Fragezeichen für die Juristen, schloss Lüder seinen kurzen
gedanklichen Ausflug.
Er machte sich auf die Suche nach Große Jäger und fand
den Oberkommissar in ein Gespräch über altägyptische Mumien verstrickt. Edith
Beyer lauschte seinen Ausführungen, halb belustigt, halb interessiert, da Große
Jäger es vermochte, seine Darstellung so zu präsentieren, dass es schwierig
war, Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden.
Es gab noch eine Reihe offener Fragen, die auf Sylt zu
klären waren. Doch heute, am Freitag, würden sie keinen Erfolg mehr haben.
Lüder sah auf die Uhr. Sie hätten noch den Weg bis Niebüll vor sich, müssten zu
Beginn des Wochenendes möglicherweise an der Autoverladung warten, und die
Hotelfrage war auch noch nicht geklärt. Es war erfahrungsgemäß schwierig,
kurzfristig eine Unterkunft auf Sylt zu bekommen, die zudem in der Abrechnung
der Spesen nicht vielfältige Diskussionen mit der Polizeiverwaltung zur Folge
haben würde. Lüder beschloss, den Abend seiner Familie zu widmen.
Große Jäger sah kein Problem darin, mit der
Direktverbindung der Nord-Ostsee-Bahn von Kiel nach Husum zurückzukehren, zumal
er nur wenige Schritte vom Bahnhof entfernt wohnte. Sie verabredeten sich für
den nächsten Tag, und Lüder versprach, den Oberkommissar abzuholen.
In der Einfahrt des älteren Einfamilienhauses am
Stadtrand stand der betagte VW -Bulli,
mit dem Margit den Transportwünschen der Kinderschar nachkam und die Einkäufe
tätigte. In den BMW passte die
Patchworkfamilie schon lange nicht mehr.
Lüder hatte sein Fahrzeug noch nicht abgeschlossen,
als Frau Mönckhagen, die Nachbarin, aus ihrem Vorgarten auftauchte.
»Haben Sie schon Feierabend? Das ist ja schön, dass
Sie nicht wieder unterwegs sein müssen. Man liest so allerhand in der Zeitung.
Da sparen die da oben an der Polizei. Immer weniger müssen immer mehr arbeiten.
Und was machen die mit dem eingesparten Geld? Bauen komfortable Gefängnisse,
damit die Ganoven das auch ordentlich gut haben tun. Nee, Herr Lüders, wenn ich
was zu sagen hätte …«
Gott sei
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