Der Tote vom Kliff
Städte.«
»Ich dachte immer, Kriminalräte wären Neutren.«
Lüder reckte zwei Finger in die Luft. »Und die beiden
Kinder?«
Große Jäger kratzte sich den Haaransatz. »Nun ja – an
dem Argument ist etwas dran. Aber die sind nicht in diesem Park auf Helgen
gelegt worden?«
Er wurde abrupt unterbrochen, weil Lüder auf die
Bremse trat, kurz entschlossen auf dem schmalen Weg wendete und den BMW in eine enge Parklücke bugsierte,
die gerade auf dem von vielen lebhaften Geschäften gesäumten Platz frei
geworden war.
»Am anderen Ende des Großfleckens steht das Rathaus.
Ein interessantes Bauwerk«, erklärte Lüder und wies mit dem Daumen über die
Schulter. »Es stand schon einmal im Mittelpunkt einer exzellent gemachten
Verfilmung von Hans Falladas ›Bauern, Bonzen und Bomben‹.«
»Die Bauern haben an Einfluss verloren«, knurrte Große
Jäger mehr zu sich selbst, »aber die Bonzen sind immer noch da. Nicht nur hier,
sondern allgegenwärtig.«
Der Oberkommissar war ausgestiegen und hatte sich als
Erstes eine Zigarette angezündet.
Er sah sich um und zeigte auf einen runden Pavillon
auf dem Platz. »Klatsch-Palais«, las er vor. »Welch ein sinnreicher Name für
ein Café. Ob die dort auch über ihren toten Mitbürger Hubert Fixemer
parlieren?« Dann wich er einen Schritt zur Seite, um einem eng umschlungenen
Paar Platz zu machen. Er griente hinter den beiden her und zeigte mit der
Zigarettenspitze auf sie. »Ob die auch in den Park gehen?«
Lüder hatte sich umgesehen. »Da müsste es sein.«
»Interessant«, sagte Große Jäger, nachdem er das
Gebäude in Augenschein genommen hatte. »Warum können Architekten heutzutage
nicht mehr so bauen? Das ist ein Augenschmaus.«
Lüder betrachtete das schmucke Eckgebäude aus rotem
Klinker mit den umlaufenden weißen Gesimsen, den Zierstreifen, dem kunstvoll
herausgearbeiteten Erker an der abgeschrägten Ecke.
»Das ist ärztliche Verschwiegenheit pur«, lästerte der
Oberkommissar. »Da gibt es nicht einmal einen Eingang.««
Das ganze Erdgeschoss nahm eine mit lichten Fenstern
ausgestattete Bäckerei ein, in der ein paar Tische auch zum kurzzeitigen
Verweilen einluden. Sie fanden den Zugang in einer schmalen Seitenstraße.
Es dauerte eine Viertelstunde, bis Lüder und Große
Jäger unter den missbilligenden Blicken anderer wartender Patienten ins
Sprechzimmer des Arztes gerufen wurden.
Der Arzt mochte Mitte sechzig sein, wirkte aber durch
das dichte schlohweiße Haar älter. Sicher trugen auch das blasse Gesicht und
der müde Zug um die Augenpartie dazu bei. Wäre Dr. Tröger als Patient bei einem
Kollegen erschienen, würde dieser wohl ein Überlastungssyndrom diagnostizieren.
Der Arzt war überarbeitet.
»Ich habe davon gehört«, sagte der Mediziner und fuhr
sich mit den Fingerspitzen über die Lippen. Ein nervöses Zucken umspielte seine
Mundwinkel. »Und was bezwecken Sie mit Ihrem Besuch in meiner Praxis?«
»Wir suchen nach Beweggründen für den Suizid Hubert
Fixemers«, erklärte Lüder.
»Sie meinen, ob der Selbstmordversuch ein
Schuldeingeständnis ist oder ob es andere Gründe gibt?«, fragte der Arzt mehr
zu sich selbst gewandt.
Nachdenklich betrachtete er eine Weile den Fuß des
Bildschirms auf seinem Tisch. »Hm«, sagte er, beugte sich vor und begann auf
der Tastatur etwas einzugeben. Dann musterte er die beiden Polizisten
eindringlich. »Eigentlich darf ich nicht mit Ihnen sprechen. Es gibt
schließlich den Rechtsanspruch des Patienten auf absolute Vertraulichkeit.« Dr.
Tröger lehnte sich zurück. »Andererseits sehe ich mich in der Verpflichtung,
einem langjährigen Patienten in einer schwierigen Lage zu helfen. Herr Fixemer
stand in der letzten Zeit unter erheblichem Stress. Er hat mich deshalb
aufgesucht, und wir haben eine medikamentöse Therapie gefunden.«
»War Hubert Fixemer depressiv?«
Der Arzt verzog keine Miene und hob als Antwort
lediglich beide Hände in einer Art Abwehrhaltung.
»Wenn sich die Hinweise verdichten sollten«, setzte
Lüder die Befragung vorsichtig fort, »dass Ihr Patient eine Mitschuld an den in
der Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfen trägt, könnten bestimmte
Krankheitsbilder schuldmindernd wirken. Die Polizei sucht nicht nur nach den
Tätern, sondern ist bemüht, das gesamte Umfeld zu ergründen und auch
Entlastendes zusammenzutragen.«
»Ihre Frage geht zu weit«, blieb Dr. Tröger
hartnäckig. »Liegt schon ein konkreter Tatverdacht gegen meinen Patienten vor?«
»Wir ermitteln in alle
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