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Der Tote vom Maschsee

Der Tote vom Maschsee

Titel: Der Tote vom Maschsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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die Lage und
Beschaffenheit der Schusswunden ergeht, schielt Oda hinüber zu ihrer Tochter.
Die schwarz umrandeten Augen sind auf den toten Körper gerichtet und leuchten
lebhaft.
    Â»â€¦Â Färbung der Augenbindehaut unauffällig, Lippenschleimhaut und
Mundschleimhaut frei von petechialen Blutungen …«
    Veronika fängt den Blick ihrer Mutter auf und lächelt ihr zu.
    Na warte! Spätestens wenn Dr. Bächle zu Skalpell und Säge greift,
wird dir das Grinsen schon vergehen. Schon ist es so weit. In einem eleganten
Bogen führt der Assistent den Schläfenschnitt aus und zieht dann Irene Dillings
Kopfhaut bis übers Kinn wie eine Latexmaske ab. »Kopfschwarte leicht ablösbar«,
nuschelt Dr. Bächle in sein Diktiergerät.
    Oda glaubt zu bemerken, wie ihre Tochter ein wenig an Farbe
verliert. Das Geräusch, mit dem sich die oszillierende Säge durch die
Schädeldecke arbeitet, geht Oda durch Mark und Bein. Das Gehirn wird mit einem
scharfen Schnitt vom Rückenmark getrennt und liegt nun frei, eine weißgraue
Masse auf einer flachen Schale in der Hand des Assistenten.
    Oda tritt an Veronikas Seite und wispert: »Ich geh mal eine rauchen,
kommst du mit?«
    Veronika schüttelt energisch den Kopf.
    Die Präparatorin trägt das Gehirn an ihren Arbeitstisch. Es kommt
auf die Waage: 1380
Gramm. Dann gleitet die Messerklinge durch, Scheibchen für Scheibchen, wie bei
Tim Mälzer. Dr. Bächle fährt derweilen mit der Halsweichteilpräparation fort.
    Wozu das alles, fragt sich Oda. Es sieht doch jeder, dass sie
erschossen wurde. Sie verlässt den Raum. So eine Sektion kann dauern, da muss
man zwischendrin mal raus.
    Rauchend tigert sie vor dem Haus J6
der Medizinischen Hochschule auf und ab. Die Erziehungsmaßnahme scheint ihr
plötzlich übertrieben und völlig unangemessen. Himmel, sie ist fünfzehn! Was,
wenn sie nach diesem Erlebnis zwar keinen Sarg mehr haben möchte, aber dafür
einen seelischen Schaden davonträgt? Was bin ich für eine Mutter, die ihr Kind
einem solchen Anblick aussetzt?
    Nachdem sie aufgeraucht hat, geht sie zurück in den Sektionssaal.
    Â»Sehen Sie diese Luftblasen im Wasser?«, fragt der Assistent, der
sich mit Dr. Tim Westenberg vorgestellt hat, gerade Veronika, die sich
interessiert über den Leichnam beugt. Ein Schlauch ragt in den Brustkorb der
Toten.
    Â»Das nennen wir die große Pneumothoraxprobe«, erklärt der Assistent.
Veronika nickt und lächelt ihm zu. Der junge Doktor grinst zurück.
    Oda atmet flach. Der Geruch im Sektionssaal ist während der letzten
Viertelstunde nicht besser geworden. Das Öffnen des Thorax mit der Rippenschere
erinnert Oda an das Halbieren eines Hähnchens mit der Geflügelschere.
    Â»Do hammer’s«, murmelt Dr. Bächle, während er das Projektil
herausschält. Er reicht es an den Assistenten Westenberg weiter und sagt zu
Oda: »Todesursächlich war das Eindringen des Projektils in den rechten
Ventrikel, das lässt sich schon mal feschthalten. Hier sieht man recht deutlich
den Schusskanal.« Er winkt die Kommissarin zu sich heran.
    Oda sieht nur blutiges Fleisch.
    Der Rechtsmediziner senkt nun die Klinge des Skalpells in den
Herzbeutel. Die rotbraune Flüssigkeit, die sich darin gesammelt hat, wird in
ein Glas geschöpft. Sie erinnert Oda an Frau Cebullas Kräutertees. Neben dem
zweiten Seziertisch entdeckt Oda einen Hocker und lässt sich darauf nieder.
Wozu sich hier zwei Stunden lang die Beine in den Bauch stehen, wenn es nachher
ein Protokoll geben wird? Eine Stunde ist bereits vergangen, Veronika zeigt
keine Schwächen. Sie beobachtet jeden Schnitt der Obduzenten, lauscht Bächles
Diktaten und den wichtigtuerischen Erklärungen des anderen Arztes.
    Â»Jetzt öffnen wir die dritte Körperhöhle nach dem Schädel und dem
Brustkorb«, doziert Westenberg gerade.
    Der Bauchschnitt.
    Â»Dicke des Unterhautfettgewebes in Nabelhöhe: 0,8 cm. Punkt. Zeile«, diktiert Dr. Bächle.
    Die Organe liegen nun frei. Der Geruch wird intensiver.
    Dr. Bächle deutet mit dem blutigen Skalpell auf Veronika. »Wie
geht’s dem Fräulein?«
    Â»Gut.«
    Â»Reschpekt«, meint Bächle und wirft einen amüsierten Blick auf Oda,
während der Assistent sagt: »Ich finde es toll, dass Sie sich für so etwas
interessieren, Veronika. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen

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