Der Tote vom Maschsee
um und sieht dem
Kommissar direkt in die Augen. »Sie denken dabei an mich?«
Unter dem sezierenden Blick ihrer wasserklaren Augen räumt Völxen
ein: »Nein. Sie scheinen mir nicht der Typ zu sein, der zu therapeutischen
Zwecken zwei Menschen erschieÃt und sich dann selbst eine abgeschnittene Zunge
schickt.«
»Das beruhigt mich«, sagt sie und lächelt.
Eine charmante Person, denkt der Kommissar â nicht zum ersten Mal.
Kurz spielt er mit dem Gedanken, sie auf ihr Alibi anzusprechen, aber er lässt
es. Wozu soll er sie unnötig kompromittieren? Sie wird früher oder später von
selbst damit herausrücken, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlt.
»Aber ich halte es für möglich, dass Sie ein früheres Opfer von
Strauch kennen und schützen. Vielleicht handelt es sich um eine Patientin von
Ihnen. Oder eine alte Freundin.«
Sie wendet den Blick ab und geht weiter, Kies knirscht unter ihren
Schuhen.
Völxen hält Schritt. »Frau Dr. Fender, ich bitte Sie! Wir haben zwei
Tote in einer Woche. Wer weiÃ, wann diese Verrückte wieder zuschlägt.
Vielleicht sind Sie die nächste, die es trifft.«
»Sie glauben, dass die Täterin eine Frau ist?«, hakt Dr. Fender
hellhörig nach.
»Einige Indizien sprechen dafür. Also, wenn Sie etwas wissen, dann
sagen Sie es mir, bitte.«
Sie hält seinem eindringlichen Blick stand und sagt: »Tut mir leid.
Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Ich wäre selbst froh, wenn ich einen solchen
Trumpf gegen Strauch in der Hand hätte.«
Völxen merkt, dass er nicht mehr aus ihr herausbekommen wird. Er
stellt ihr noch ein paar persönliche Fragen, die mit dem Fall nicht unmittelbar
zu tun haben, deren Antworten aber dennoch sehr interessant sind.
Dr. Bächle runzelt seine Stirn und sieht Oda zweifelnd an,
während sie die Treppe zum Keller, in dem der Sektionssaal liegt,
hinuntersteigen. »Frau Krischtensen, ich möchte Ihre Erziehungsmethoden ja
nicht anzweifeln, aber wenn uns das Fräulein zusammenklappt, dann ischt das
nicht meine Schuld, gell. Nicht, dass Sie dann böse mit mir sind.«
»Kein Problem«, versichert Oda. »Wissen Sie, meine Tochter
kokettiert in letzter Zeit ein bisschen viel mit dem Jenseits, und jetzt will
sie sich sogar einen Sarg anschaffen.«
Der Rechtsmediziner schüttelt den Kopf und murmelt: »Ja, ja, narrete
Küeh hend spinnede Kälble.«
»Wie bitte?«
»Ach, nix.«
»Es schadet jedenfalls nichts, ihr den Tod einmal in der Realität
vor Augen zu führen. Ziehen Sie ruhig alle Register, Herr Doktor, nur keine
Rücksichten.«
Schon im Gang vor dem Sektionssaal I schlägt Oda die typische
Geruchsmischung aus Moder und Desinfektionsmittel entgegen. Drinnen warten
Veronika, der Assistent und die Präparatorin neben dem Seziertisch, auf dem
Irene Dilling liegt, noch verhüllt von einem grünen Tuch. Veronika hat den
Vorschlag, ihre Mutter zu einer Obduktion zu begleiten, mit Begeisterung
aufgenommen. Mann, wenn sie das in der Schule erzählt! Sie wollte unbedingt
ihre Digitalkamera mitnehmen, aber das hat Oda aus Gründen der Pietät
untersagt.
Der Assistent zieht das Tuch von der Leiche, und der Anblick von
dem, was einmal Irene Dilling war, lässt Oda schaudern. Ausgestreckt auf kaltem
Stahl liegt die menschliche Hülle in ihrer ganzen Schutzlosigkeit und
Hässlichkeit da. Die unendliche Einsamkeit der Toten ist in diesem Moment am
deutlichsten spürbar, findet Oda. Sie bedauert jedes Mal die Angehörigen, die
einen Toten hier, in Bächles Keller, identifizieren müssen.
»Hat man schon die Abstriche unter den Fingernägeln genommen?«,
fragt sie.
»Aber selbschtverschtändlich«, versichert Bächle und spricht in sein
Diktafon: »Weibliche Leiche, vierundfünfzig Jahre alt, KörpergröÃe eins
siebzig, guter Ernährungszustand, schlanker Körperbau. Punkt. Zeile. ÃuÃere
Todeszeichen â¦Â«
Frau Dillings Beine sind muskulös und bis zur Mitte der Oberschenkel
braun gebrannt, ebenso die Unterarme. Garten- und Fahrradbräune. Der Rest ist
bleich, mit dem Gelbstich des Todes. Schlaff hängen die Brüste zur Seite, der
Leib ist etwas gedunsen. Die Stellen, an denen die Brust von den Schüssen
getroffen wurde, sind sepiafarbene Löcher mit glatten Wundrändern.
Während sich Dr. Bächle über Leichenflecken und
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