Der Tote vom Maschsee
Völxen.
»Sie war schon älter. So etwa Mitte fünfzig.«
»Was hatte sie an?«
»Hose, Mantel, alles irgendwie dunkel. Es war ja noch Winter.«
»Haarfarbe?«
»Braun. Nein, mehr grau. Ja, eher grau.«
Völxen steht auf und holt ein Foto von Irene Dilling aus der Akte.
»War sie das?«
Frau Schröder schaut das Bild lange an. »Nein, eher nicht. Nein, das
war sie nicht. Sie war dünner im Gesicht.«
»Frau Schröder, hätten Sie vielleicht noch ein Stündchen Zeit für
uns?«
»Ja, schon.«
»Schön, dann lasse ich Sie jetzt zum LKA bringen, dort gibt es
einen netten Herrn, der schöne Bilder malt.«
Jule und Fernando steigen in den Dienstwagen.
»Nur noch acht«, stöhnt Fernando. »Gehen wir ein paar Tapas essen?«
»Ich würde lieber fertig werden. Ich habe heute Abend noch was vor.«
»Ein Rendezvous?«
»Karatetraining.«
Sie sind dabei, die Frauen von Irene Dillings Adressliste
abzuklappern. Bisher waren drei nicht zu Hause, zwei haben Alibis für beide
Tatzeiten und vier für den Samstag. Zwei haben bislang kein Alibi, darunter die
Frau, die sie soeben in ihrer schäbigen Zweizimmerwohnung in der LimmerstraÃe
besucht haben. Sie heiÃt Gisela Jochum, ist einunddreiÃig Jahre alt und hat vor
drei Monaten ein Kind geboren. Sie war zu beiden Tatzeiten mit ihrem Säugling
allein zu Hause.
»Die war das nicht«, meint Jule. »Hast du ihren Arm gesehen, als sie
mal den Ãrmel hochgeschoben hat?«
»Nein, wieso?«
»Alles voller Narben. Schnitte«, sagt Jule.
»Du glaubst, das ist so eine, die sich selber anritzt?«
»Mit Sicherheit. Solche Leute richten ihre Aggressionen gegen sich
selbst, nicht gegen andere.«
»Wenn du meinst«, sagt Fernando.
Kein Alibi, keine akuten Verdachtsmomente schreibt Jule hinter die Adresse. »Und was ist mit Frau Gill?«, fragt sie
daraufhin. Ria Gill, die sie vor über einer Stunde in einem Reihenhaus in
Davenstedt angetroffen haben, ist zweiundfünfzig, und ihr kurzes Haar ist
weinrot gefärbt. Sie hat die Polizisten zunächst sehr reserviert behandelt, hat
ihnen aber dann immerhin erzählt, sie gehe zu Pro victim ,
weil ihre Schwester vor fünf Jahren von ihrem gewalttätigen Ehemann erstochen
worden sei. Sie selbst sei damals Augenzeugin gewesen und könne das nicht
vergessen. »Am liebsten würde ich den Kerl umbringen. Der hat Glück, dass er
noch einsitzt«, hat sie freimütig gestanden. Auch sie war zu den jeweiligen
Tatzeiten alleine zu Hause.
»Wir suchen nach einer Frau um einen Meter fünfundsiebzig mit
normalem Körpergewicht, nicht nach einem Dragoner«, meint Fernando, den die
kräftig gebaute Frau Gill um einen halben Kopf überragt hat.
»Hunde, die bellen, beiÃen ja auch bekanntlich nicht«, stimmt Jule
zu.
»Wo müssen wir jetzt hin?«
»In die Nordstadt«, sagt Jule.
Fernando setzt den Blinker und fährt los.
»Ich kann mir nicht helfen, ich finde Dr. Fender immer noch
verdächtig. Sie könnte sich die Zunge doch selbst geschickt haben«, sagt Jule.
»Quatsch.«
Offenbar ist Jule die Einzige, zu der die brisante Neuigkeit seines
Fehltritts noch nicht vorgedrungen ist. Das hat man davon, wenn man arbeitet,
anstatt sich auf den Fluren und in der Cafeteria herumzutreiben.
»Auf jeden Fall verschweigt sie uns etwas«, fährt Jule unbeirrt
fort. »Sie hat von Anfang an immer nur das gesagt, was unbedingt nötig war. Sie
hat mit dem Vertrag gelogen, sie hat die Bänder erst auf Anfrage rausgerückt,
sie hat nie erwähnt, dass sie verheiratet ist â¦Â«
»Dass sie WAS ist?«, fragt Fernando atemlos.
»Sie ist verheiratet. Ihr Mann ist zurzeit in Boston, ein
Forschungsauftrag. Er ist Astrophysiker, forscht über irgendeinen sehr weit
entfernten Nebel.« Das hat Jule heute erfahren, nachdem Völxen ihr aufgetragen
hat, alles über Liliane Fender herauszufinden. Sie sieht Fernando verwundert
an.
Die Knöchel seiner Hände am Lenkrad sind weià geworden, und auch
sein Gesicht ist auf einmal bleich wie ein Ziegenkäse. Er weicht ihrem Blick
aus und schaut mit zusammengepressten Lippen hinaus auf den Verkehr der
Vahrenwalder StraÃe.
»Ist was?«, fragt Jule.
»Nein, nichts«, antwortet ihr Kollege mit eisiger Stimme.
Ein süÃlich-bitterer Geruch, der ihn an Einsätze
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