Der Tote vom Maschsee
Er wird ihr wohl in
der Wohnung auflauern müssen, falls sie überhaupt kommt. Wenn sie schwarz
arbeitet, lässt sie es sicher bleiben.
Daraufhin berichtet Hauptkommissarin Oda Kristensen: »Fast alle
Hotelgäste des Marriott sind Teilnehmer der Hannover-Messe. Die meisten waren
zur Tatzeit entweder in der Bar oder im Steintorviertel. Oder schon auf ihren
Zimmern. Ein Hotelgast und drei Angestellte vom Restaurant Pier 51, das dem Tatort schräg
gegenüberliegt, haben um 00.05 Uhr Schüsse gehört.
Diese Uhrzeit konnte auch von einigen Gästen der Jugendherberge, die weiter
oben am See ein Lagerfeuer gemacht haben, bestätigt werden. Die Befragung
dieser Schüler erfolgt heute. Von den Besuchern des Vortrages von Dr. Offermann
haben sich bis jetzt etwa sechzig gemeldet. Sie sind für heute und morgen vorgeladen.«
»Na, viel Spaë, murmelt Fiedler.
Nun ist Jule Wedekin an der Reihe: »Ich habe mir die von Dr.
Offermann begutachteten Fälle der letzten Jahre angesehen. Die meisten
Verurteilten sitzen noch ein, fast alle im MaÃregelvollzug. Es gab während der
vergangenen zwei Jahre nur vier Entlassungen aus der Strafhaft oder der
Psychiatrie. Keiner der Täter wurde bislang rückfällig. Bei den Fällen handelt
es sich um zwei Vergewaltigungen in Osnabrück und Paderborn, einen Totschlag in
Bielefeld und einen Mord an einer Ehefrau in der Nähe von Hamburg.« Sie hält
inne. Keiner hat Fragen. Die Männer sehen sie aufmerksam an, die Staatsanwältin
zupft an ihren Nagelhäuten. Jules Wangen glühen.
Oda nickt ihr aufmunternd zu.
Etwas umständlich beschreibt Jule nun den aktuellen Fall Michael
Strauch und resümiert: »Bis jetzt ergibt sich daraus kein Tatmotiv. Das
Gespräch zwischen Offermann und Strauch hat laut Aussage des Personals der
Haftanstalt Sehnde vergangene Woche, am Dienstag, dem 10. April, stattgefunden, und zwar von zehn
bis zwölf Uhr. Der Wachmann gibt an, Offermann habe ein Diktiergerät bei sich
gehabt.« Jule schaut fragend in die Runde. »Hat man in Offermanns Wohnung oder
in der Praxis ein Diktiergerät oder Bänder gefunden?«
»Rolf, hat man ein Diktiergerät oder Bänder gefunden?«, wiederholt
Denninger die Frage und schaut dabei Fiedler an.
»Es gibt etliche kleine Kassetten, darauf stehen Namen von Patienten
und Daten, vermutlich sind das Aufzeichnungen von Sitzungen. Ich habe noch
nicht reingehört.«
»Kann ich die haben? Ich meine ⦠wenn Sie sie nicht mehr brauchen«,
fragt Jule.
»Tja, ich weià nicht. Das sollte wohl die Staatsanwaltschaft
entscheiden. Immerhin sind das vertrauliche Protokolle über Gespräche mit
Patienten.« Fiedler schaut hinüber zu Eva Holzwarth, einer fülligen Brünetten.
Die löst sich von der Betrachtung ihrer Fingernägel, rückt ihre
schwarzrandige Prada-Zickenbrille zurecht und meint: »Das sehen Sie völlig
richtig, Herr Fiedler.« Ihre Stimme ist heiser.
»Mich interessieren hauptsächlich die Bänder zum Fall Michael
Strauch«, präzisiert Jule.
»Der Name war meines Wissens nicht dabei«, sagt Fiedler.
Fernando wechselt einen resignierten Blick mit Oda. Ungeschickt von
Jule, vor der Staatsanwältin um die Bänder zu bitten. Wozu gibt es den kleinen
Dienstweg?
»Und das Diktiergerät?«, fragt Jule.
»Es war keines vorhanden.«
»Danke.«
»Gern geschehen.« Fiedler nickt Jule zu, und für einen Moment sieht
es so aus, als würde er salutieren. Vom Seitenscheitel bis zur Sohle entspricht
Rolf Fiedler der gängigen Vorstellung des trockenen Hanseaten, allerdings wird
er ärgerlich, wenn man ihn als Hamburger bezeichnet, denn er stammt aus Lübeck.
Kommissarin Wedekin fährt fort: »Es ist denkbar, dass Frau Dr.
Fender das Gerät verschwinden lieÃ, kurz nachdem wir sie über den Tod ihres
Chefs unterrichtet hatten. Sie ist nämlich mitten im Gespräch in sein
Sprechzimmer gegangen, um uns den Schlüssel zu seiner Wohnung zu holen.«
»Ach«, sagt Völxen und runzelt die Stirn, wobei er Fernando ansieht.
»Ja, das stimmt«, seufzt dieser und schleudert Jule einen
verärgerten Blick entgegen. Man sollte ihr möglichst rasch beibringen, dass man
in einer MoKo-Sitzung keine Kollegen bloÃstellt.
»Wenn dem so war, dann ist sie nicht die Täterin«, schlussfolgert
Oda. »Sonst hätte sie ja genug Zeit
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