Der Tote vom Maschsee
Idee:
Wir wäre es, wenn ich Ihnen unseren Laden zeige und uns einen Kaffee koche? Und
vielleicht ein paar dulces zum Nachtisch?«
Samstag, 21. April
Am ganzen Leib zitternd duckt sich Doris unter die Zweige
des Apfelbaums und blökt kläglich. Fast kommt es Völxen vor, als ob sich das
Tier seiner Nacktheit schämt. Die anderen drei Schafe stehen wollig und
pausbäckig in der hintersten Ecke der Weide und blicken dem, was von Doris
übrig ist, misstrauisch entgegen. Offenbar erkennen sie ihr Herdenmitglied nicht
wieder.
Wanda wischt sich den Schweià von der Stirn. »Zwanzig Minuten. Das
muss besser werden. Es soll Leute geben, die scheren hundertfünfzig an einem
Tag.«
»Mir reichen die vier«, meint Völxen. Ein Berg Wolle türmt sich im
Wäschekorb.
Angelina, Mathilde und Salomé treibt jetzt doch die Neugier.
Vorsichtig witternd umkreisen sie ihre geschorene Lebensgefährtin. Es wird
geblökt, dann â vermutlich haben sie einander an der Stimme erkannt â ist der
Schock auf beiden Seiten überwunden. Doris drängelt sich zurück in den SchoÃ
der kleinen Herde.
»Die nächste bitte.« Gierig und offensichtlich ahnungslos folgt
Salomé dem Stück Zwieback, das man ihr vor die Nase hält. Hinter dem Stall
erfolgt der Zugriff. Mit vereinten Kräften zwingen Völxen und Wanda das Tier
auf den Boden. Es strampelt und stöÃt panische Laute aus.
»Die werden mich nie mehr anschauen«, keucht Völxen, dessen Aufgabe
es ist, das Schaf festzuhalten, während sich Wanda mit dem schnurrenden
Schurapparat durch das Vlies arbeitet. Das Schaf hat seine Gegenwehr
eingestellt, es liegt jetzt still und mit bebenden Flanken da.
»Dad, das sind Schafe, keine Elefanten. Morgen haben sieâs
vergessen.«
Trotz der Sorge um die zarten Seelen der Schafe kann Völxen der
Schafschur eine positive Seite abgewinnen. »Kann man sich etwas Urwüchsigeres,
Archaischeres vorstellen, als die eigenen Schafe zu scheren?«, hat er beim
Frühstück Sabine gefragt.
»Ja, sie zu schlachten«, lautete ihre rabiate Antwort.
Salomés Sommerfrisur ist nach fünfzehn Minuten fertig. Daraufhin
wiederholt sich dasselbe Schauspiel wie zuvor: AusgestoÃen steht das zitternde
Tier vor den anderen, die es argwöhnisch beäugen.
»So viel zur Intelligenz von Schafen«, merkt Wanda an.
Mitten in der Schur des Schafes Mathilde, der Nummer drei, klingelt
Völxens Telefon. Völxen umfasst mit einer Hand Mathildes Hinterbeine und zieht
mit der anderen sein Handy aus der Hosentasche. Diesen Augenblick nutzt das
Schaf. Es bäumt sich auf, windet sich wie ein Korkenzieher, kommt auf die Beine
und flieht in Bocksprüngen über die Weide.
»Da hast du es«, jammert Wanda. »Ein halbes Schaf.«
Das Tier sieht in der Tat grotesk aus. Die rechte Hälfte ist
geschoren, doch das Vlies hängt noch zusammen und flattert in Fetzen um den
teilweise kahlen Körper. Die Artgenossen blicken ihm aus ihren gläsernen
Schafsaugen dumpf entgegen.
»Völxen â¦Â«
»Nowotny. Weibliche Leiche â¦Â«
Mit einem Schlag bricht die andere Welt über ihn herein.
»Ich komme.«
»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Wenigstens Mathilde machen
wir noch fertig!«
Aber Völxen schüttelt den Kopf. »Tut mir leid, das muss warten.«
»Papa! So können wir sie nicht lassen, die kriegt ja Schlagseite.«
»Weià du was, Tochter? Wir wären längst fertig, wenn du nicht erst
um elf Uhr heute Mittag von diesem ⦠diesem â¦Â«
»Er heiÃt Sören.«
Was für ein Name! Und überhaupt kann Völxen nicht begreifen, was
seine Tochter an einem Jüngling findet, dessen Haut aussieht wie eine
Raufasertapete.
»Meinetwegen. Also sieh zu, dass du deinen Sören anrufst, damit er sich hier nützlich macht.«
»Der ist krank.«
»Ach. Was hat er denn?«
»Würfelhusten. Gestern war Erdbeerfest in Ihme.«
»Dann soll er ein Stützbier trinken und seinen Hintern hierher
bewegen. Anderthalb Schafe, das werdet ihr ja wohl noch hinkriegen.«
Fängebo oder Högbo? Seit einer Stunde bewegt sich Jule
inmitten von Kleinfamilien und händchenhaltenden Pärchen durch die Ausstellung
des schwedischen Möbelhauses. Ihr Vater ist bis jetzt auch keine groÃe Hilfe
gewesen, da seine Kommentare zum Sortiment überwiegend destruktiver
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