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Der Tote vom Maschsee

Der Tote vom Maschsee

Titel: Der Tote vom Maschsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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Nachricht vom Tod ihres
leiblichen Vaters und die Aussicht auf dessen Lebensversicherung.
    Â»Kann ich jetzt wieder in mein Zimmer gehen?«, fragt der Teenager
aufsässig.
    Â»Ja, geh«, knirscht Oda und verspürt nun das dringende Bedürfnis
nach einer Dosis Nikotin. Auf der Suche nach ihren Zigarillos findet sie sich
vor dem Schrank mit den wenigen verstaubten Schnapsflaschen wieder. Sie weiß
nicht, was überwiegt: die Erleichterung, ihre Botschaft endlich losgeworden zu
sein, oder die Enttäuschung über Veronikas Reaktion. Vielleicht kann ein
Doppelkorn hier Klarheit schaffen. Sie macht sich nicht die Mühe, nach einem
Glas zu suchen, sondern nimmt einen Schluck aus der Flasche. Sie schüttelt
sich. Dem ekelhaften Geschmack folgt das gute Gefühl, wie sich der Schnaps warm
durch Kehle und Brust arbeitet. Sie nimmt noch einen Schluck.
    Es ist deine Schuld, sagt sie sich. Du selbst hast die Verbindung
unterbrochen, also beschwer dich jetzt nicht über fehlende Trauer. Oder wären
dir Fragen und Vorwürfe lieber? Im Grunde ja, muss sich Oda eingestehen. Das
wäre normal. Nicht so abstoßend wie dieser erschreckende Gleichmut, dieses
kühle Abwägen der Vorteile. Aber vielleicht ist das nur Veronikas Art, mit dem
soeben Gehörten fertigzuwerden. Bestimmt kommen sie noch, die Fragen und
Vorwürfe. Im Augenblick fragt sich Oda allerdings, ob sie ein gefühlskaltes
Monster großgezogen hat. Cría cuervos y te sacarán los ojos. Züchte Raben, und sie werden dir die Augen aushacken – ein altes spanisches
Sprichwort. Irgendwann hat sie es Pedra Rodriguez sagen hören. In welchem
Zusammenhang, daran erinnert sie sich nicht mehr, aber es ist in ihrem
Gedächtnis hängen geblieben, als hätte sie geahnt, dass es irgendwann auf ihr
Leben zutreffen würde.
    Es läutet an der Tür. Oda stellt die Flasche weg und geht öffnen.
Jule steht mit geröteten Wangen davor.
    Â»Du schon wieder? Hältst du es keinen Tag ohne mich aus?«
    Â»Kann ich kurz mit dir reden?«
    Â»Privat oder dienstlich?«
    Â»Dienstlich.«
    Oda seufzt. »Du musst lernen abzuschalten, Jule. Ich gebe zu, das
ist ein interessanter Fall, und noch dazu dein erster, aber du musst klare
Grenzen ziehen, sonst machst du diesen Job nicht lange.«
    Â»Tut mir leid, ich kann auch wieder …«
    Â»Jetzt komm schon rein.«
    Sie setzen sich auf die kleine Terrasse. Im Garten, der sich ohne
Umzäunung an die gepflasterte Hoffläche anschließt, wächst alles wild
durcheinander. Den Rasen, der diesen Namen kaum verdient, zieren
Maulwurfshügel, und über einem völlig zugewucherten kleinen Teich tanzen
Mücken. Aus einem offenen Fenster über ihnen ertönt düsterer Elektro-Sound.
    Â»Was gibt es?«
    Â»Ich glaube, ich habe das Mordmotiv.«
    Oda zündet sich einen Zigarillo an. »Willst du was trinken?«
    Â»Nein, ich geh wirklich gleich wieder«, lehnt Jule ab. »Kannst du
dich an das erinnern, was du gesagt hast, als ich dich gefragt habe, warum man
Offermann die Zunge herausgeschnitten hat?«
    Oda saugt den Rauch tief in die Lungen. »Nein. Was geht mich mein
Geschwätz von gestern an?«
    Â»Du hast gesagt: Er hat zu viel geredet. «
    Â»Mag sein.«
    Â»Ich denke, das ist es. Beide haben viel geredet, die Dilling und
der Offermann. Sogar zusammen, im Fernsehen. Das ist es, was sie verbindet. Für
Frau Dilling ist das Reden zur Lebensaufgabe geworden. Nicht
schweigen, kämpfen. So steht es auf dem Flyer von Pro
victim . Aber stell dir vor, du wärst das Opfer eines Sexualverbrechens.
Fühlst du dich nicht jedes Mal von Neuem bloßgestellt, wenn einer wie Offermann
im Detail schildert, was seine Klientel ihren Opfern angetan hat, um seinen
Vortrag auf diese Art zu würzen, damit er auch schön gruselig und authentisch
ist?«
    Oda stimmt ihr zu.
    Â»Meine Mutter ist gerade von meinem Vater verlassen worden, und
weißt du, worunter sie am meisten leidet? Sie glaubt, dass jeder sie mitleidig
und schadenfroh ansieht und dass man hintenherum über sie redet. Sie schämt
sich.«
    Oda nickt. »Scham ist ein Motiv ist, das häufig unterschätzt wird.
Aber weder Offermann noch die Dilling haben je Namen genannt.«
    Â»Mussten sie das? Ich wette, meine Mutter wird sich ab sofort
ständig angegriffen fühlen, wenn irgendwo das Thema Mann
verlässt Ehefrau wegen Geliebter auf den Tisch

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