Der Tote vom Silbersee (German Edition)
unerschrockene Kämpferin! Hast den Schwanz zwischen die Beine geklemmt. Wovor fürchtest du dich?«
Lena ließ vor Schreck die Leine fallen, als Trixi plötzlich losrannte und etliche Meter vom Ufer entfernt stehen blieb.
»Ich verwette meine alte Tante: Hier hat jemand seinen gefährlichen Duft hinterlassen.«
»Komm, Trixi, wir gehen in die Stadt!«, sagte Lena entschlossen. »Das Seminar muss jetzt auf mich verzichten.«
Mit einem letzten schiefen Blick zum Silbersee ging Lena eiligen Schrittes Richtung Straßenbahnhaltestelle. Gegenüber dem Dokuzentrum wartete sie auf die Bahn. Ein mobiler Zeitungskasten stand neben dem Häuschen, das Schutz vor Regen geben sollte. Der Titel sprang ihr sofort ins Auge:
» Tod des Starreporters Friedhelm Suser .«
Die digitale Anzeige auf dem Bahnsteig verriet ihr, dass die nächste Bahn in vier Minuten einlaufen würde. Schnell warf Lena einen Euro in den Kasten, öffnete ihn und nahm die Nürnberger Nachrichten heraus. Genügend Zeit, um den Bericht zu überfliegen. Sogar der Chefredakteur hatte einen großen Artikel über den toten Mitarbeiter geschrieben. Im Text hieß es, dass Suser ein mutiger Mensch gewesen sei, der immer hinter einer heißen Story her war.
»Ich lasse nicht locker, bis ich die Hintergründe für ein Geschehen gefunden habe«, wurde Suser zitiert. Der Verfasser schrieb, dass der Redakteur einige Monate wegen Depressionen in psychiatrischen Kliniken verbracht hatte. Dann folgte eine Auflistung seiner Auszeichnungen für sein journalistisches Schaffen. Lena bekam ein ganz schlechtes Gefühl. Hier stimmte etwas nicht.
***
Andy lag auf und sein Hund unter der Parkbank. Als sich Lena den beiden näherte, fiel ihr auf, dass der mächtige Hund ununterbrochen seine Pfote leckte. Da Andy mit glasigen Augen in den Himmel starrte und Trixi, statt zu bellen, den Schwanz einzog, hatte Lena die Gelegenheit, Lord genauer zu inspizieren. Seine Pfote war bis auf die Knochen aufgerissen, am Kopf blutete er aus verschiedenen Verletzungen. Als sie die Wunden betrachtete, keimte ein schrecklicher Verdacht in Lena auf. Andy nahm keine Notiz von ihr. Lena drehte sich um, zog die widerstrebende Trixi hinter sich her und hastete zum Hotel zurück.
Wenig später kehrte sie zurück. Sie sah auf Andy herunter, der unverändert auf der Bank lag.
»Ich habe dir Desinfektionsmittel mitgebracht, es …«
Mit einem Ruck sprang der junge Mann auf die Füße. Er wankte leicht, als er schrie: »Lord braucht dein Scheißdesinfektionsmittel nicht, er ist stark und …«
Sanft unterbrach ihn Lena: »Schau, Andy, du liebst deinen Hund doch sehr. Wenn sich die Wunde entzündet, wird Lord sehr krank.«
Lena konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Andy ihr nun das Mittel aus der Hand riss.
»Behandle mich nicht wie einen Volltrottel!«
Seine Augen wirkten nun klar, aber sein Gesicht war verzerrt.
Lena zögerte nur kurz. »Gut, Andy, dann reden wir Klartext. Was kann ich tun, dass du Lord nicht mehr in den Hundekämpfen …«
Der Punk trat einen Schritt auf sie zu. Drohend hob er die Hand. »Wenn du ein Wort davon den Bullen sagst, dann …«
»Du willst doch, dass ich dich ernst nehme, oder?«
»Mir doch scheißegal«, motzte Andy und kniete sich zu seinem Hund. Sanft begann er, die Wunden zu säubern.
»Ist es wegen des Geldes, Andy?«, fragte Lena leise.
Der Punk antwortete nicht, beachtete sie einfach nicht mehr. Unschlüssig trat Lena von einem Bein aufs andere.
»Ich möchte dir helfen, Andy!«
»Was kannst du schon gegen diese verkackte Welt ausrichten, alte Frau?«, knurrte Andy, löste Lords Kette und ging davon. Das Desinfektionsmittel hatte er in die Tasche seiner zerrissenen Jeansjacke gesteckt. Lena sah, dass Lord stark hinkte. Hilflos sah sie den beiden verletzten Lebewesen nach.
Mai 1969
Er hatte lange auf diesen Augenblick gewartet. Inzwischen wusste er, dass sich Warten immer lohnte. Das hatte er von den Spinnen gelernt. Die saßen unbeweglich in der Mitte ihres Netzes und warteten und warteten. Wenn sich dann ein Opfer verfing, schlugen sie blitzschnell zu, erbarmungslos und tödlich. Er vergötterte Spinnen.
Die Eltern waren zu einem gesellschaftlichen Anlass eingeladen. Er sah seiner Mutter wortlos zu, als sie geschickt die Flecken in ihrem Gesicht überschminkte. Inzwischen versuchte sie es nicht mehr heimlich zu tun, es war Alltag geworden, gehörte zum Leben in der großen, weißen Villa dazu. Seine Mutter sprach auch kaum. Berührungen? Die gab
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