Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
Straßenverkehr von einem arroganten Schnösel der Parkplatz weggeschnappt wird?«
Sie nickte.
»Und jetzt beschließen Sie hoffentlich, auch etwas zu essen. Mein Rind mit Spinat schmeckt jedenfalls sehr gut.«
Der Satz klang ihm zu belehrend, sobald er ihn ausgesprochen hatte, aber Anne lächelte ihn an, und zum ersten Mal sprühten ihre Augen vor Lebendigkeit. »Wissen Sie, das kam vor ein paar Monaten ganz plötzlich. Ich bin abends einfach von der Couch aufgestanden und habe meinem Mann gesagt, dass ich einmal um den Block gehen würde, um frische Luft zu schnappen. Aber ich bin in eine Kneipe gegangen und einfach geblieben. Ich kam mit einem Mann ins Gespräch, und als die Kneipe um drei Uhr zumachte, hat er mich zu sich eingeladen. Ich bin mitgegangen, obwohl ich nichts von ihm wollte. Er hatte sich natürlich etwas anderes ausgerechnet, aber er hat mich schließlich in Ruhe gelassen. Er hat in seinem Bett geschlafen, und ich habe bis zum Morgengrauen in seiner Küche gesessen. Als ich wieder zu Hause war, hat mein Mann gerade gefrühstückt. Er hat mich augenblicklich gefragt, ob ich bei einem anderen gewesen bin. Ich habe ja gesagt, weil ich irgendwie gedacht habe, das ist das Einfachste, das ist die Version, in der ich am allerwenigsten erklären muss. Und das war auch so ziemlich das Letzte, was mein Mann und ich miteinander gesprochen haben. Das hat mir gezeigt, dass er mich nicht wirklich gekannt hat. Er hätte wissen müssen, dass ich ihn nicht betrogen hätte. Ich finde, man kann einen Menschen verlassen, wenn die Beziehung gescheitert ist, aber man darf einen anderen nicht hintergehen. Das finde ich fürchterlich – unverzeihlich.«
Nun begann sie endlich zu essen, aber an ihrem schnellen Atem merkte er, dass sie noch immer unruhig war. Sie hielt eine volle Gabel in der Luft.
»Entschuldigen Sie, es muss sich schrecklich anhören. Wie eine auswendig gelernte, klischeebeladene Story, die ich beim ersten Date herunterrassele, noch bevor ich mit der Vorspeise fertig bin, nicht wahr?«
»Es hört sich nicht schrecklich an, sondern schrecklich wahr. Schließlich habe ich Sie nach Hause fahren müssen, weil Sie selbst dazu nicht mehr in der Lage waren.«
»Mir ist erst danach bewusst geworden, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben jemanden angeschrien habe. Deshalb bin ich wohl auch zusammengebrochen. Ist das nicht unglaublich? Ich bin dreiunddreißig Jahre alt und hatte bis zu diesem Tag noch niemals einen anderen Menschen angeschrien, nicht meine Eltern, nicht meinen Mann – niemanden. Die Pubertät habe ich übersprungen, als wäre sie Hundekot auf dem Bürgersteig.«
Gerald wusste nicht, was er erwidern sollte. Er wollte auch nicht das Thema wechseln, das wäre zu unsensibel. Also aßen sie schweigend weiter, wobei Gerald den Eindruck hatte, dass Anne entweder keinen Hunger hatte oder ihr das Essen nicht schmeckte.
»Und was ist mit Ihnen, Gerald? Leben Sie allein? Darf ich das überhaupt fragen?«
Die Frage erwischte ihn auf dem falschen Fuß, obwohl sie ihn eigentlich nicht hätte überraschen dürfen. Wer so offen von sich selbst erzählte, stellte natürlich auch entsprechende Fragen. Er trank einen Schluck, um Zeit zu gewinnen. »Ja, seit ein paar Monaten lebe ich alleine. Wenn Sie mich gefragt hätten, ob ich alleine bin , wäre die Antwort nicht so klar. Tatsache ist, dass meine Frau mit unserem gemeinsamen Sohn – er ist fast ein Jahr – wieder zurück zu ihren Eltern gezogen ist.«
»Das tut mir leid. Gab es einen bestimmten Anlass?«
Gerald stockte. Wenn er daran dachte, wie sie zur ehelichen Treue stand, war es wohl besser, nicht zu konkret zu werden. »Wir haben uns einfach immer weiter voneinander entfernt, mit sehr viel Streitereien und Missverständnissen.«
»Kam es dennoch überraschend für Sie?«
Er nickte. »Es war brutal, und das ist es offen gestanden immer noch. Ich glaube, dass ein Kind die Beziehung zwischen Mann und Frau radikal verändert. Es ist so, als würde man plötzlich das Innenfutter sehen, und manchmal ist man mehr von sich selbst geschockt als vom anderen. Vielleicht ist es aber auch schlicht und einfach so, dass wir letztlich nicht zusammenpassen, und das Kind hat uns das erst bewusst werden lassen.«
»Aber Sie würden einen zweiten Versuch wagen?«
Gerald legte das Besteck neben den Teller. Er wusste einfach nicht, was er antworten sollte. Wollte er sich einfach nur mögliche Chancen bei Anne nicht verbauen, oder hatte sich seine Haltung in
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