Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
sie das harte Grün der Frühlingszwiebeln und er die Kartoffelschalen in den Abfalleimer werfen wollte, berührten sich ihre Schultern. Zwischendurch tranken sie trockenen elsässischen Weißwein, von dem er vorsorglich zwei Flaschen in den Kühlschrank gestellt hatte. Gerald fand es sehr sympathisch, dass sie nicht gleich beim Eintreten seine ganze Wohnung besichtigen wollte. Es gab Frauen, die mit diesem kritischen Zeige-mir-deine-Wohnung-und-ich-weiß-wer-du-bist-Blick jeden Winkel durchleuchteten. Doch zu dieser Kategorie gehörte Anne glücklicherweise nicht. Sie war sehr lebhaft während des Kochens und schien sehr sicher in allen Handgriffen, die sie tat. Nichts erinnerte in diesem Moment an die Frau, die weinend den Kopf auf das Lenkrad gelegt hatte, unfähig zu sprechen, unfähig, irgendetwas anderes zu tun, als zu schluchzen.
»Es war nicht nur unfallfrei. Es hat wunderbar geschmeckt. Kompliment.« Gerald legte die Serviette neben den Teller und nahm einen weiteren Schluck Weißwein. Es war bereits das vierte oder fünfte Glas. Waren sie mit verantwortlich dafür, dass er das intensive Grün ihrer Augen so deutlich wahrnahm?
»Vielen Dank«, sagte sie und prostete ihm zu. Ihre Wangen hatten sich gerötet. Vielleicht war es der Wein, vielleicht lag es auch an der Hitze in der Küche. An ihren Ohrläppchen baumelten zwei dünne, große Ohrringe, die ihr schmales Gesicht noch zierlicher erscheinen ließen. Vor dem Kochen hatte sie den leichten Sommerpulli ausgezogen, und nun saß sie ihm in einem eng anliegenden, weißen T-Shirt gegenüber, unter dem sich der Büstenhalter deutlich abzeichnete.
»Gestern war ein schrecklicher Tag«, sagte sie unvermittelt und drehte das Glas in ihren Händen. »Ich habe nach dem Einkaufen nur im Bett gelegen, geheult und mich von allem schrecklich überfordert gefühlt. Mein Leben erscheint mir in solchen Momenten dann immer wie eine einzige Trümmerlandschaft. Und ich kann niemanden dafür verantwortlich machen, außer mich selbst. Und dann gibt es Tage wie diesen heute, die hundert Stunden haben könnten und mir immer noch zu kurz wären. An einem Tag bin ich ein müder Sandsack, am anderen ein Springfrosch.«
»Das ist vielleicht normal für die Phase, in der du steckst. Es dauert einfach etwas, bis sich das alles eingependelt hat. Das versuche ich mir jedenfalls zu sagen, wenn ich an mein Kind denke.« Er brach ab, weil er spürte, wie sich seine Stimmung abrupt verdüsterte. Nein, über seine eigenen Probleme wollte er heute nicht grübeln. Wenigstens nicht an diesem Abend.
»Es geht dabei auch nicht nur um mich. Es geht auch um meine Eltern, die eine sehr schwere Zeit durchmachen.«
»Gesundheitlich?«
Sie schüttelte den Kopf. »Entschuldige. Eigentlich will ich nicht darüber reden. Ich vertraue dir, das ist es nicht. Aber es macht den Hundert-Stunden-Tag kaputt.«
»Okay, leben wir ihn. Magst du noch einen Espresso? Oder einen Cognac?«
»Beides, wenn ich darf.«
»Nur, wenn du sitzen bleibst und mich alleine das Geschirr wegräumen lässt.«
Als er in einer schnellen Bewegung aufstand, musste er sich mit einer Hand am Stuhl abstützen. Er war angetrunken, keine Frage. Wein zu trinken während des Kochens, sagte er sich, könnte mein Lieblingshobby werden, aber es ist nicht ganz ungefährlich.
Er bereitete die Espressomaschine vor und stellte sie auf den Herd. Die Teller und das Besteck räumte er in die Spülmaschine. Es ging schnell, weil sie alles aufgegessen hatten. Er überlegte, ob sie zum Kaffee ins Wohnzimmer gehen sollten. Aber er fürchtete, dass die entspannte Atmosphäre verloren gehen könnte. Sie blieb schweigsam sitzen, während er den Espresso und den Cognac servierte, beobachtete aber jede seiner Bewegungen.
»Du hast schöne Hände«, sagte sie schließlich. Sie sprach so leise, dass er sie kaum verstehen konnte. »Darauf achte ich als Erstes bei einem Mann.«
Gerald wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er trank zuerst den Espresso und dann den Cognac und wich ihrem Blick aus.
»Obwohl gestern so ein mieser Tag war«, sagte sie in einem lockereren Tonfall, »habe ich mich dennoch zu meiner Mutprobe durchgerungen. Ich habe auf dem Viktualienmarkt meine noch leere Einkaufstasche auf einem Berg aus Äpfeln abgelegt, und als der Verkäufer mir die Sachen gereicht hat, habe ich es beim Einräumen so eingerichtet, dass ein Apfel wie zufällig mit in die Tasche gerollt ist.«
»Was du scheinbar gar nicht bemerkt hast.«
Sie nickte.
Weitere Kostenlose Bücher