Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
»Aber ich muss zugeben, dass ich den Verkäufer vorher indirekt bestochen habe. Ich habe die Endsumme großzügig aufgerundet.«
»Clever.« Sein Herz schlug heftiger, seine Zunge wurde immer schwerer. Er wusste nicht, ob er noch einen vollständigen Satz hinbekommen würde, ob er überhaupt noch etwas sagen konnte. Sein Kopf, sein ganzer Körper fühlte sich so schwer an. Das Schweigen, das den Raum ausfüllte, lastete auf seinen Schultern. Gerald wich ihrem Blick aus, und dennoch wusste er, dass sie das Gleiche tat.
»Und nun?« Ihre Stimme war sehr scheu und kam von weit her. »Du bist doch bei der Polizei. Musst du mir nicht die Handschellen anlegen, und ich kann mich nicht wehren, egal, was du mit mir machst?«
Sie überkreuzte die Hände und streckte sie ihm über dem Tisch entgegen. In diesem Moment klingelte sein Handy. Es lag im Wohnzimmer, auf dem Schreibtisch. Gerald verfluchte sich, es nicht ausgeschaltet zu haben, als Anne gekommen war. Wer konnte es nur sein? Nele? Seine Mutter? Jedenfalls war der Klingelton so störend, dass er aufstand und ins Wohnzimmer ging.
»Was fällt dir ein, dein Diensthandy auszuschalten!«
Der Satz dröhnte wie ein Hammerschlag in Geralds Kopf.
»Verdammt. Sorry. Es ist mir so passiert … Ich weiß nicht einmal, wann ich es ausgeschaltet habe.«
Batzko machte eine lange Kunstpause, um seinen Kollegen etwas auf die Folter zu spannen. »Wir haben einen an der Angel. Die Kollegen haben beobachtet, wie jemand aus der Wohnung in Giesing Gegenstände geholt hat und dann weggefahren ist.«
»Okay.« Wohnung? Giesing? Er versuchte, sich zu erinnern …
»Sie sind ihm unauffällig gefolgt und haben wie vereinbart ihre Kollegen von der Mordkommission informiert. Zumindest denjenigen, der sein Handy nicht ausgeschaltet hatte.«
»Das wirst du mir noch in Jahrzehnten vorhalten. Wo bist du jetzt?«
»Titurelstraße 2. Vor einem gigantischen Klotz von Hochhaus. Die Streife hat unseren Freund gerade noch erwischt, als er vor dem Aufzug stand, und unseren Besuch angekündigt. Falls du mir die außergewöhnliche Ehre deiner Anwesenheit zuteilwerden lässt, versteht sich.«
»Ich bin in zehn Minuten bei dir.«
Anne war inzwischen aufgestanden. Ihre Hände hielt sie in den Taschen ihrer Jeans verborgen.
»Ich muss leider weg. Dienstlich. Es tut mir schrecklich leid«, stammelte Gerald.
»Lange?«
»Nein. Ich weiß nicht. Eine Stunde vielleicht. Schwer zu sagen. Wenn du bleiben möchtest, im Wohnzimmer ist der Fernseher, Musik …«, sein Arm deutete in einer kraftlosen Bewegung auf den Raum, aus dem er gerade gekommen war, als müsste man in einer Dreizimmerwohnung Ortsschilder aufstellen. Er war schlagartig so deprimiert, dass er Anne nicht ins Gesicht sehen konnte.
Gerald griff ein Jackett von der Garderobe im Flur, steckte den Dienstausweis, die Brieftasche und den Schlüsselbund ein und verließ die Wohnung.
Erst auf der Straße fiel ihm ein, dass er sich nicht selbst ans Steuer setzen konnte. Er rief ein Taxi, auf das er mehrere Minuten warten musste. Während der Fahrt ärgerte er sich darüber, dass er Anne nicht deutlicher gesagt hatte, dass er sich freuen würde, wenn sie auf ihn warten würde. Als sie vor ihm gestanden hatte, die Hände in den Hosentaschen verborgen, hatte sie wie ein kleines, schutzbedürftiges Mädchen gewirkt, das bei etwas Verbotenem ertappt worden war. Es war dieses labile Gleichgewicht zwischen Vitalität und Zerbrechlichkeit, das ihn so sehr anzog. Nele hatte er als herausfordernd, selbstbestimmt und dominant erlebt und war müde geworden in einer Beziehung, die permanente Selbstbehauptung und Stärke einforderte.
Batzko sah demonstrativ auf die Uhr, als Gerald aus dem Taxi stieg. Sein gelbes Hemd, das er wie üblich und auch bei kalten Temperaturen bis zum dritten Knopf geöffnet hatte, leuchtete in der Abenddämmerung. Darüber trug er ein dunkles, tailliertes Jackett. Es fehlt noch das Goldkettchen zum Zuhälter, dachte Gerald.
Das rechteckige Hochhaus wirkte gewaltig und gleichzeitig surreal. Es war in dieser Lage so deplatziert, als hätten die Stadtplaner bei der Genehmigung im Tiefschlaf gelegen.
»Dr. Franz-Georg Mostert ist unser Mann«, sagte Batzko kurz angebunden, drehte sich um und ging auf das Haus zu. Gerald hatte Mühe, ihm zu folgen.
»Vierter Stock. In dem verfluchten Kasten hier wohnen so viele arme Seelen wie in einer mittleren Kleinstadt«, meinte Batzko und wies auf den Aufzug. Ihre Schritte hallten in dem
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