Der Toten tiefes Schweigen
weißgestrichenen Zäunen und einem gepflegten Rasen vor dem Haus, ein geschlossenes Tor. Da eine verschmutzte Einfahrt mit einem nachlässig abgestellten Motorrad. Ohne Tor. Hier ein Hausname – Belmont –, daneben nur eine Nummer; dann ein Haus mit sechs Namensschildern neben einer Sprechanlage. Auf der Mauer saß eine weiße Katze, die ihn beobachtete, während er näher kam. Er blieb stehen und streckte die Hand aus, doch die Katze sprang in ein paar Lorbeerbüsche.
Es war still. Die meisten Einfahrten waren leer, niemand sah aus den Vorderfenstern, soweit er es beurteilen konnte. Die Bewohner waren bei der Arbeit. Jeder konnte durch die Dulles Avenue gehen oder fahren, stehenbleiben, in ein Haus gehen, nach zehn, zwanzig Minuten wieder herauskommen, ohne dabei beobachtet zu werden.
Er näherte sich der Nummer 48 . Ein Streifenpolizist stand an der Haustür Wache. Ein Wagen kam aus entgegengesetzter Richtung, fuhr langsamer, und der Fahrer beäugte das Haus. Das rot-weiße Absperrband bewegte sich leicht, als der Fahrer wieder Gas gab.
In ein paar Metern Entfernung sah Simon einen abgestellten Honda Civic, in dem ein Mann und eine Frau saßen. Als er näher kam, ging die Beifahrertür auf. »Super?«
Adam Phillips, Journalist aus Bevham. Die Frau war wohl Fotografin.
Simon ging hinüber. Es war nicht seine Art, der Presse gegenüber barsch und obstruktiv aufzutreten, solange sie sich an die Abmachungen hielten.
»Hallo, Adam. Hier tut sich nichts, fürchte ich. Ich schaue mich nur noch einmal um, die Spurensicherung ist jetzt aus dem Weg, aber ich bezweifle, dass ich etwas zu berichten haben werde.«
»Was dagegen, wenn ich mit reinkomme?«
Serrailler musterte ihn. »Um vier werde ich eine Presseerklärung abgeben. Ich möchte die Nachrichten der örtlichen Fernseh- und Radiosender einbinden.«
»Können Sie mir jetzt schon etwas sagen?«
»Nichts. Ich würde es ja«, sagte Simon und wandte sich ab, »wenn ich könnte. Tut mir leid. Ich lasse Sie nicht im Ungewissen.«
Adam nickte und setzte sich wieder in seinen Wagen.
Doch dem DCS entging nicht, dass der Journalist nicht wegfuhr.
Simon tauchte unter dem Absperrband durch. Blieb stehen, sah sich um. Asphalteinfahrt. Zwei Büsche vor einer niedrigen Ziegelmauer. Sauber und ordentlich. Gepflegtes Holzwerk an der Haustür und an den Fensterrahmen. Die Tür stand auf, noch mehr Absperrband davor.
Er betrat das Treppenhaus. Auch das war gut in Schuss. Sauber. Die Treppe vor kurzem gestrichen worden. Still. Beunruhigend still.
Ein zweiter Polizist stand an der Tür der oberen Wohnung. Langweiliger Job, dachte Serrailler. Er wusste noch, wie es ihm vor vielen Jahren dabei ergangen war. Wie er versucht hatte, wachsam zu bleiben, überlegt hatte, woran er denken könnte.
»Sir.«
»Guten Morgen. Keine Vorkommnisse?«
»Nichts. Gehen Sie rein, Sir? Es ist nicht abgeschlossen.«
»Danke. Ja, ich gehe rein.«
Die beiden Treppen nach oben hatten gummierte Beläge, wodurch die Schritte etwas gedämpft wurden. Wenn auch nicht vollständig. Das hing von den Schuhen ab.
Der Treppenabsatz roch leicht nach Reinigungsmittel mit Kiefernaroma.
Melanie Drew war diese Treppe hinaufgegangen. Hatte auf diesem Treppenabsatz gestanden.
Serrailler öffnete die Tür. Stille drang aus der leeren Wohnung, eine nichtssagende, tödliche, erdrückende Stille.
Kurz darauf ging er hinein.
Jedes Haus, jeder Raum, in dem gerade ein Mord stattgefunden hatte, hat eine eigene Atmosphäre. Das hatte er im Lauf der Jahre gelernt und häufig erfahren. Manchmal herrscht dort tiefste Traurigkeit und Stille, Melancholie. Und zuweilen Angst.
Er erinnerte sich daran, wie er einmal zusammen mit dem Bruder eines Vermissten in ein luxuriöses Penthouse in den Docklands eindringen musste und ihm die entsetzliche Woge förmlich ins Gesicht gesprungen war, das lebhafte Empfinden aufgestauter Gewalt und Bösartigkeit. Sie hatten es beide gespürt, hatten sich angesehen und gezögert, hineinzugehen.
Der Mann war gefesselt und angekettet gewesen, hing an ledernen Handschellen von einem Stahlträger herab, sein Bauch war aufgeschlitzt. Die Atmosphäre der Wohnung hatte sich Simon für immer eingeprägt.
Jetzt, als er die helle, neumöblierte Wohnung betrat, in der Melanie Drew erschossen worden war, spürte er absolute Leere. Zuerst ging er ins Wohnzimmer. Dann ins Schlafzimmer. Das Gästezimmer stand voll mit Kartons und Paketen, die meisten mit dem
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