Der Toten tiefes Schweigen
und im Nähzimmer, was sie so leidenschaftlich verabscheut hatte wie früher die Handarbeitsstunden.
Jetzt stand die lächelnde Äbtissin vom Schreibtisch auf und kam mit ausgestreckten Armen auf Jane zu, um ihre Hände zu ergreifen.
»Jane, was für eine Freude! Wie schön, dich zu sehen.«
»Es tut gut, wieder hier zu sein.«
Sie meinte es ernst. Für sie war es beruhigend zu wissen, dass diese Zuflucht immer da sein würde. Sie wusste, dass sie jederzeit wieder zurückkehren könnte, wenn sie einen Ort des Gebets und der Stille brauchte, obwohl sie im selben Moment wusste, als sie durch die Tür geschritten war, dass sie nie wieder bleiben wollte.
»Was hältst du von einem Spaziergang, Jane? Ich muss mir ein wenig die Beine vertreten, und es täte mir gut, etwas anderes zu sehen.«
Sie machten sich auf den Weg zu einer der Eisenbänke. Das Wild war jetzt weiter entfernt und zog äsend auf das Ufer des Baches zu, der sich durch den Park schlängelte. Die Mücken sirrten in der Luft.
»Zur Unzeit«, sagte Schwester Catherine, »aber willkommen. Der Winter ist lang.«
Jane warf ihr einen Blick zu. Die Äbtissin war eine gutaussehende Frau um die fünfzig, und ihre Stimme hatte einen leichten Hauch von – Melancholie? Schwermut? Wie schwer wäre es, wenn man seine Berufung oder sogar den Glauben anzweifelte, oder wenn man das Klosterleben einfach leid wäre und trotzdem Oberhaupt seiner Gemeinschaft? Die Versuchung, nichts zu tun, ruhig zu bleiben, nichts einzugestehen, nicht einmal sich selbst gegenüber, sein Leben in einer nicht unglücklichen Routine zu verbringen, wäre groß.
Zweifel war kein Thema, das Jane bei der Äbtissin anschneiden konnte.
»Also, Jane – du siehst sehr gut aus, und du wirkst ausgeglichen. Von unserem Standpunkt aus tut es mir sehr leid, das zu sagen, weil wir es so gern gesehen hätten, wenn du bei uns geblieben wärst – aber ich bin froh, dass du offensichtlich die richtige Entscheidung getroffen hast. Tatsächlich habe ich es nie bezweifelt, weißt du?«
»Soll das heißen, Sie haben nicht geglaubt, ich könnte hier erfolgreich sein?«
»Oh, was ist Erfolg? Nein, ich will damit nur sagen, dass ich immer wusste, es war nicht das Richtige für dich.«
Schweigend saßen sie nebeneinander, in einvernehmlichem Schweigen. Die Sonne schien schräg durch die herbstlichen Bäume, und das Rotwild kam näher. Jane hatte keine Eile. Von hier aus wollte sie auf direktem Weg nach Cambridge fahren, eine Fahrt von gut einer Stunde, und sie hatte an diesem Tag keine Termine, nur ihre eigene Arbeit. Sie hatte eine Stellung als stellvertretende Seelsorgerin in einem Krankenhaus in Cambridge, eine weitere im St. Stephen Martyr’s College, wo sie jemanden vertrat, der einer Missionarstätigkeit nachging. Außerdem arbeitete sie an einer Doktorarbeit über Mönchtum im Mittelalter. Die Äbtissin hatte lauthals gelacht, als sie es erfuhr. »Das passt viel besser zu dir, Jane«, hatte sie gesagt. »Du wirst Spaß an den Entbehrungen Nordenglands im zwölften Jahrhundert haben, als die Klöster noch richtige Klöster waren!« Kleinlaut hatte Jane ihr zugestimmt.
Die Äbtissin stand auf. »Ich muss weitermachen«, sagte sie, »aber geh zu den anderen, sie werden sich alle sehr freuen, und Schwester Thomas wird schon den Kaffee aufgesetzt haben.«
Doch auf dem Weg ins Haus trafen sie Schwester Monica, die geschäftig aus ihrem Büro kam, die Brille baumelte an einer Schnur um ihren Hals.
»Meine liebe Jane, wie außergewöhnlich. Vor zehn Minuten erhielt ich einen Anruf, man erkundigte sich nach deinem Verbleib, und ich fragte mich gerade, ob wir deine jetzige Adresse haben, als ich aufschaute, und du warst da. Ich habe meinen Augen nicht getraut!«
»Wer um alles in der Welt sollte mich hier anrufen?«
»Eine Dr.Deerborn aus Lafferton. Ruf doch vom Büro aus zurück.«
[home]
Einunddreißig
W as zum Teufel …?« Serrailler schaute aus seinem Bürofenster und sah eine Menge Übertragungswagen auf dem Parkplatz des Polizeireviers. Der ganze Bereich war von hängenden Kabeln, Kameraleuten und anderen in Beschlag genommen, die auf sie einredeten, Fahrzeugen mit offenen Türen, die den Blick auf Techniker und Ausrüstung freigaben.
»Holen Sie die Pressesprecherin her.«
»Okay, Sir.«
Als die Tür zuging, klingelte das Telefon.
»Simon, was ist los? Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, ich hatte den Vorsitzenden des Police Committee im Büro, ich mache das Radio an und
Weitere Kostenlose Bücher