Der Toten tiefes Schweigen
Was ist passiert?«
»Was macht er da oben?«
Eine Toilettenspülung rauschte. Craig Drew kam die Treppe herunter und machte dabei noch seinen Gürtel zu. »Haben Sie ihn?«
»Ich hatte gehofft, Sie würden es mir sagen.«
»Wie bitte?«
Craig starrte ihn an.
Der arme Kerl, dachte Louise, verdammt, er weiß nicht einmal, wie spät es ist. Seine Frau, mit der er erst seit zwei Wochen verheiratet war, wurde erschossen, er ist ein wirres Bündel aus Empfindungen, Angst und Fragen, die er nicht beantworten kann, und wir sind hier, um noch mehr Fragen zu stellen.
»Haben Sie ein Rad, Craig?«
»Ein Fahrrad, ja.« Er wirkte verstört.
Sein Vater stand neben ihm. Beschützend, dachte Louise. Selbst in diesem Alter noch. Unwahrscheinlich, dass mein Vater mich so beschützen würde.
»Sie waren damit unterwegs, nicht wahr?«
»Er fährt fast jeden Tag«, sagte Alan Drew. »Er muss hier raus.«
»Wohin fahren Sie, Craig?«
»Ich weiß nicht … überallhin. Irgendwohin.«
»Sie wissen es nicht. Überallhin. Irgendwohin.«
»Ich fahre einfach nur rum.«
»Lafferton?«
»Ja. Oder – in die Umgebung. Dörfer. Ohne besonderes Ziel.«
»Dulles Avenue?«
»Ja, da war ich.«
»Wozu?«
»Wir – ich wohne dort. Ich bin zu meiner Wohnung gefahren.«
»Auf Ihrem Fahrrad?«
»Ja.«
»Sie können auf einem Fahrrad nicht viel transportieren, oder?«
»Ich hatte nichts zu transportieren.«
»Sie waren nicht da, um etwas mitzunehmen, Zeug, das Sie brauchten, Kleidung und so?«
»Dann hätte ich den Wagen genommen.«
»Ich wäre dann mit ihm gefahren. Was soll das alles, Sergeant, was sollen diese ganzen Fragen nach dem Fahrrad?«
»Kennen Sie den Club
Seven Aces,
Craig?«
»Nein. Ich meine, ich habe davon gehört, von diesen anderen Mädchen. Das ist dasselbe, nicht? Jemand hat einfach ohne Grund geschossen.«
»Woher wollen Sie wissen, dass es dasselbe ist?«
»Na ja, ich dachte … es muss doch dasselbe sein, oder nicht?«
»Ach ja? Wir haben das nicht gesagt.«
Craig Drew wirkte verstört, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
Verzweifelt sah er zu Louise hinüber.
»Kennen Sie den Club
Seven Aces,
Craig?«, fragte sie freundlich.
Whiteside warf ihr einen Blick zu.
»Nein.«
»Sind Sie je da gewesen?«
»Nein. Wir – ich … Ich gehe nicht gerne in Clubs. Wir gehen nicht gerne dahin. Mel mochte sie nicht. Der Club ist neu, nicht wahr?«
»Sie wollen mir weismachen, dass Sie nicht einmal daran vorbeigefahren sind?«
»Ich glaube, ja, aber ich will es nicht beschwören. Natürlich kann ich das nicht, oder?«
»Warum nicht? Ich hätte gedacht, es ist total einfach. Sind Sie nun am
Seven Aces
vorbeigefahren oder nicht?«
Craig setzte sich und ließ den Kopf hängen.
Whiteside fuhr fort. »Sie haben von Bethan Doyle gelesen, Craig?«
»Wer ist Bethan … O Gott, die, die mit dem kleinen Kind. Herrgott.«
»Dann wissen Sie davon?«
»Man müsste schon auf dem Mond leben, um es nicht zu erfahren, oder?« Alan Drew hatte den Raum durchquert, um sich neben seinen Sohn zu stellen und ihm kurz die Hand auf die Schulter zu legen.
»Craig?«
»Ja.«
»Sie wissen, wo sie wohnte, nicht wahr? Wo es passiert ist?«
»Ja.«
»Nicht weit von Ihrer Wohnung entfernt.«
Schweigen.
»Sie waren dort, nicht wahr, Craig?«
»Nein.«
»Wirklich? Ich habe gehört, dass Sie da gewesen sind. Sind mit dem Fahrrad die Straße entlanggefahren. Haben das Haus eingehend betrachtet, in dem es passiert ist. Stimmt das?«
Craig sah auf, seine Augen schienen in seinen Kopf gesunken zu sein, noch immer verstört.
»Kann sein. Ja, ich war da. Ich war auf dem Fahrrad in der Gegend. Ich habe versucht, es zu begreifen. Ich kann es nicht fassen, verstehen Sie? Ich warte noch immer darauf, dass sie zur Tür hereinkommt, aber sie kommt nicht.«
»Melanie?«
»Ja.«
»Warum sollten Sie deswegen an Bethan Doyles Wohnung vorbeiradeln?«
»Das bin ich nicht. Ich meine, ich weiß nicht, warum. Ich wollte nur sehen. Vermutlich. Vielleicht würde es mir helfen, es zu begreifen. Ich weiß es einfach nicht.«
»Dann sind Sie also an dem Haus vorbeigeradelt, in dem Bethan Doyle vor den Augen ihres achtzehn Monate alten Jungen erschossen wurde?«
Craig sank in sich zusammen, als wehrte er einen Schlag ab.
»Craig?«
Eine Sekunde lang waren sie alle wie erstarrt in dem kleinen Raum, doch Louise empfand die Sekunde wie Stunden, zeitlos, als wäre der Verschluss einer Kamera stecken geblieben und hielte sie alle dort
Weitere Kostenlose Bücher