Der Totenerwecker (German Edition)
werde Ihnen meine Karte mitgeben, damit wir uns später ausführlicher unterhalten können. Jetzt bin ich hier, um Ihre Fragen zu beantworten, wenn Sie welche haben, und um Detective Lassiter und die Schwester bei der Prozedur zu unterstützen. Ich weiß, Sie haben Schlimmes durchgemacht, aber wir sind hier, um Ihnen zu helfen.«
Die Opferberaterin war eine junge blonde Frau Mitte 20, die aussah, als käme sie frisch vom College. Sie trug ausgesprochen konservative Kleidung – eine weiße Bluse und einen langen, blauen Rock, der fast bis zu ihren Knöcheln reichte. Das Haar hatte sie zu einem Dutt hochgebunden. Sarah vermutete, dass sie Mormonin war. Aus irgendeinem Grund arbeiteten viele Mormonen in den Krankenhäusern von Las Vegas. Bei den meisten handelte es sich um Freiwillige, aber fast ebenso viele verfügten über eine Ausbildung in einem Pflegeberuf.
Die Beraterin sprach in ruhigem Ton mit Sarah und erklärte genau, was geschehen würde. Sarah fragte sich, ob man die Frau in der Vergangenheit wohl auch vergewaltigt hatte. Sie bezweifelte es, hätte sich aber auch nicht gewundert. Es musste einen Grund geben, dass jemand wie sie einen solchen Beruf ergriff.
»Entspannen Sie sich. Die Schwester wird Proben aus Ihrem After und Ihrem Uterus entnehmen. Es könnte ein bisschen unangenehm sein, ist aber schnell vorbei. Detective Lassiter und ich sind hier und stehen Ihnen bei.«
»Es ist nicht mein erster Spezialeinsatz«, zitierte Sarah einen Spruch von Harry. »Ich war letzte Woche schon einmal hier.«
»Oh«, sagte die Beraterin und warf Lassiter einen Blick zu. Als sie Sarah wieder ansah, lag ein anderer, weniger mitfühlender Ausdruck auf ihrem Gesicht.
»Sie ist keine Prostituierte, Miss Burns. Sie hatte lediglich eine sehr schlimme Woche«, erklärte Lassiter.
Die Frau war offenkundig verwirrt und mehr als ein bisschen schockiert. Vermutlich war es sogar schockierend. Aber nach allem, was Sarah in den letzten Tagen durchgemacht hatte, kam ihr die Tatsache, in weniger als einer Woche mehrmals vergewaltigt worden zu sein, gar nicht mehr so schockierend vor. Das machte es deshalb nicht weniger entwürdigend und demütigend. Sie fühlte sich genauso geschändet wie bei Ihrem ersten Besuch im Krankenhaus. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sie diesmal wusste, wie die Untersuchung ablief und welches Ergebnis sie brachte. Außerdem hatte sie Zeit gehabt, sich moralisch darauf einzustellen.
Auf keinen Fall würde sie wieder in Tränen ausbrechen, auch wenn es sicher der richtige Zeitpunkt dafür war und sie ohne Zweifel das Bedürfnis hatte, zu weinen, zu schreien und gegen die Wände zu trommeln. Aber sie wusste nicht, ob sie es schaffte, sich erneut zusammenzureißen, wenn sie sich jetzt gehen ließ. Die Opferberaterin sah Sarah skeptisch und auch etwas missbilligend an. Sarah konnte die Fragen im Gesicht der Frau ablesen. Sollte sie ihr erzählen, dass sie obendrein auch noch ein gutes halbes Dutzend Mal ermordet worden war?
»Mit wie vielen Vergewaltigungsopfern haben Sie es hier täglich zu tun?«, fragte Sarah.
»Das ist schwer zu sagen. Wir haben viele Prostituierte hier, aber auch Opfer von häuslicher Gewalt, also Vergewaltigungen durch Familienangehörige. Oft sind diese Fälle noch brutaler als der Missbrauch durch Fremde. Aber im Schnitt habe ich etwa zwei oder drei Termine am Tag.«
»Zwei oder drei am Tag? «
Die Frau nickte. »Und ich bin nur eine Beraterin.«
Sarah wusste nicht, warum sie das so überraschte. Aber Vergewaltigung war etwas, worüber sie nie großartig nachgedacht hatte, bis sie vor einer Woche schreiend aufgewacht war. Sie fragte sich, wieso man die Beraterin bei dieser Sitzung hinzuzog und wo sie in der letzten Woche gesteckt hatte, als sich nur Lassiter und die Krankenschwester mit ihrem Fall auseinandersetzten.
»Sind Sie nicht auch Beraterin für Missbrauchsopfer, Trina?«, fragte sie.
»Ich bin lediglich Opferbetreuerin. Das ist ein kleiner Unterschied. Ich besitze keine spezielle Ausbildung.«
»Und wo war die Beraterin letzte Woche?«
»Letzte Woche hatten wir ein NASCAR-Rennen und ungefähr 100.000 Motorsportfans in der Stadt. Eine arbeitsintensive Woche für die Opferberatung.«
Sie erwähnte das so beiläufig, als handele es sich um eine allgemein bekannte Tatsache, dass die Zahl der Vergewaltigungsfälle bei großen Sportereignissen zunahm. Vermutlich war es sogar offensichtlich, überlegte Sarah. Aber normalerweise dachte man über so etwas
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