Der Totengarten
setzte seine Chauffeursmütze auf und folgte Dunne über die Brücke.
Holiday betrat das Hotel. Der Eingang vom Parkhaus führte in einen Gang mit einem Büro und von dort aus in einen offenen Bereich mit Rezeption, Sitzgruppen und einer Bar. Dunne saß an der Bar, vor sich ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit. Es saßen zwar noch weitere Personen am Tresen, aber Dunne war offenbar allein. Er hatte Holiday den Rücken zugekehrt, und so ging dieser zielstrebig zu der nahen Sitzgruppe und ließ sich in einem gepolsterten Sessel neben einem Tischchen mit Zeitschriften nieder. Ein Chauffeur, der darauf wartete, dass ein Klient aus seinem Zimmer herunterkam, war sicher nichts Ungewöhnliches. Holiday schlug eine Zeitschrift auf und behielt dabei aus dem Augenwinkel Dunne im Blick.
Er trinkt Wodka, dachte Holiday.
Den riecht man nicht. Aber in Wirklichkeit doch. Und man sieht ihn dir auch an. Du sitzt hier in einer öden Hotelbar, weil du diese Sorte Polizist bist. Du hast keine Freunde außer deinen Kollegen, und von denen weißt du es auch nicht so genau. Keine Familie und kein richtiges Zuhause. Eine Wohnung, aber die zählt nicht. Wenn du nicht gerade in deinem Bezirk Streife fährst, bist du allein. Du weißt nicht wohin. Du bist verloren.
»Kann ich Ihnen helfen, Sir?«, fragte ein junger Mann, der ein Namensschild mit dem Logo des Hotels an der Brust trug. Er hatte sich unbemerkt genähert und stand jetzt mit verschränkten Händen vor Holiday.
»Ich warte auf einen Klienten«, erklärte Holiday.
»Vielleicht möchten Sie mit dem Telefon an der Rezeption Bescheid geben, dass Sie hier sind?«
»Er kommt schon.«
Dunne leerte zügig sein Glas, bestellte noch einen Drink und trank immer weiter. Er hatte sich die ganze Zeit nicht umgedreht. Außer mit dem Barkeeper hatte er mit niemandem in seiner Umgebung gesprochen.
Holiday beobachtete ihn aus einiger Entfernung und wartete.
»Wo ist denn dein Cousin?«, fragte Chantel Richards.
»Conrad ist gegangen«, sagte Romeo Brock. »Er kommt nicht wieder.«
»Warum?«
Brock steckte sein Hemd in die Hose.
Chantel war von der Arbeit gekommen und hatte Brock in dem Schlafzimmer im hinteren Teil des Hauses angetroffen. Als sie eintrat, stand er gerade an der Kommode und knöpfte sein rotes Rayonhemd zu. Vor ihm lagen seine Pistole, ein Päckchen Patronen, eine Schachtel Kools, Streichhölzer, ein Handy. Neben der Kommode standen die beiden Gucci-Koffer. Der rechte enthielt fünfzigtausend Dollar. Der linke enthielt Chantels Kleidung.
»Warum ist er gegangen, Romeo?«
»Er glaubt, dass es Ärger geben wird«, erklärte Brock.
»Vielleicht hat er recht.«
»Was für Ärger?«
»Die Sorte, die mit Männern und Pistolen zu tun hat. Aber mach dir keine Sorgen, alles wird gut.«
»Ich wollte nicht in so was mit reingezogen werden«, sagte Chantel.
»Du hast dich selbst da reingeritten«, hielt Brock ihr vor. »Seit du mit mir aus dem Haus vom fetten Tommy gegangen bist, steckst du bis über beide Ohren mit drin. Aber alles wird gut. Wir beide, wir haben doch noch gar nicht richtig angefangen. Weißt du, wer Red und Coco waren?«
»Nein.«
»Na, ist ’ne lange Geschichte. Von Bonnie und Clyde hast du aber sicher schon mal gehört.«
»M-hm.«
»Die Frau hat zu ihrem Kerl gehalten, was? Die zwei haben ihr Leben gelebt und sich von niemandem rumschubsen lassen.«
»Aber am Ende wurden sie getötet, Romeo.«
»Was zählt, ist, wie sie bis dahin gelebt haben.« Romeo ging auf Chantel zu und küsste ihre weichen Lippen. »Mich kann keiner umlegen, Baby. Nicht, ehe ich mir einen Ruf geschaffen habe. Mein Name wird Legende sein, bevor mir irgendwas zustößt.«
»Ich habe Angst.«
»Das brauchst du nicht.« Brock trat zurück. »Ich werde jetzt kurz telefonieren, und dann werde ich mich da vorn ins Wohnzimmer setzen. Schließ die Tür hinter mir ab und mach dir keine Sorgen. Hast du mich verstanden?«
»Ja, Romeo.«
»Braves Mädchen. Du bist meine Coco.«
Er nahm seine Zigaretten, die Streichhölzer und das Handy von der Kommode und verstaute sie in seinen Taschen. Dann nahm er den Colt und die Munition und verließ das Zimmer.
Chantel verriegelte die Tür und schaltete das Radio auf dem Nachttisch an, das auf KYS eingestellt war. Romeo sollte nicht hören, dass sie weinte. Sie setzte sich auf die Bettkante, faltete die Hände und rieb mit einem Daumen über den anderen. Dabei blickte sie aus dem Fenster in den kleinen Garten hinter dem Haus, der auf der
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