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Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Pelecanos
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gefolgt und wissen, wo sie sich aufhält. Kehren wir um und erstatten Raymond Bericht.«
    »Wir sind hier noch nicht fertig.« Henderson zog sein Handy hervor und wählte eine Nummer. »Ray will bestimmt selbst rauskommen.«
    »Wozu?«
    »Um sich sein Geld zurückzuholen. Dieser Bursche, Romeo, hat sich schließlich seine fünfzig Riesen unter den Nagel gerissen.« Henderson wartete auf die Verbindung. »Ray Benjamin ist so lange ein friedlicher Mensch, bis du ihn übers Ohr haust. Aber dann ist mit ihm nicht mehr zu spaßen.«
    Michael Tates Mund wurde trocken. Er hatte Durst und wäre am liebsten abgehauen. Zumindest musste er aus diesem Wagen raus.
    »Während du mit Ray redest«, sagte Tate, »gehe ich mal ein Stück in den Wald und seh mich um.«
    »Okay«, erwiderte Henderson. In dem Moment meldete sich Benjamin.

    Ramone parkte seinen Tahoe am 6000er-Abschnitt der Georgia Avenue, nördlich der Piney Branch Road. Er ging ein Stück den Bürgersteig entlang, bog rechts ab und kam zum eisernen Tor des Battleground National Cemetery. Ramone schob das Tor auf und trat zwischen zwei Sechspfünder-Kanonen hindurch auf das Gelände.
    Er ging einen betonierten Weg entlang, vorbei an einem Haus und mehreren großen Gedenksteinen bis in die Mitte des Friedhofs, wo eine amerikanische Flagge an einer Stange wehte, umgeben von einundvierzig Grabsteinen. Dort lagen die Soldaten der Nordstaaten-Armee begraben, die in der Schlacht bei Fort Stevens gefallen waren. Um den Kreis herum waren vier Messingtafeln angebracht. Ramone ging auf eine der Tafeln zu und las die Inschrift:

    The muffled drum’s sad roll has beat
    The Soldier’s last tattoo;
    No more on Life’s parade shall meet
    That brave and fallen few.

    Der dumpfen Trommel trauervoller Schlag
    Tönt der Soldaten letzter Zapfenstreich,
    Die tapfer kämpften hier und ohne Zag,
    Ihr Ruhm begleitet sie ins Totenreich.

    Ramone sah sich um. Es war ruhig, ein halber Hektar Rasen, Bäume und Totengedenken inmitten der städtischen Umgebung. Doch der ländlichen Atmosphäre zum Trotz war der Friedhof von einer Ausfallstraße im Westen und einem Wohnblock im Osten her einsehbar. Es gab geschütztere Orte, Ramone glaubte nicht, dass Asa hierhergekommen war, um Sex zu haben. Es war wahrscheinlich eher die nächstgelegene Möglichkeit, seiner Familie und seinem Umfeld zu entkommen und etwas Frieden zu finden.
    Asa hatte den Spriggs-Zwillingen gesagt, er sei auf dem Weg zum Lincoln-Kennedy-Monument. Er hatte gewollt, dass sie sich daran erinnerten. Er hatte gewollt, dass jemand etwas fand, das er hinterlassen hatte, und es musste hier sein.
    Ramone ging zurück zum Eingang des Friedhofs, wo die großen Steine standen, vier in einer Reihe. Bei näherem Hinsehen erkannte er, dass es keine herkömmlichen Grabsteine waren, sondern Denkmäler für die Einheiten des Army Corps, der Freiwilligen Kavallerie und der Nationalgarde aus Ohio, New York und Pennsylvania.
    Ein Gedenkstein überragte die anderen. Ramone blieb davor stehen und las die Inschrift: »Für die tapferen Söhne von Onondaga County, N.Y., die auf diesem Feld am 12. Juli 1864 im Beisein von Abraham Lincoln zur Verteidigung Washingtons gekämpft haben.«
    Ramone ging um das Denkmal herum. An der Seite waren die Namen der Gefallenen und Verwundeten aufgelistet. Darunter fand sich auch der Name John Kennedy.
    Er nahm den umgebenden Boden in Augenschein. Er ging hinter das Denkmal und betrachtete den Rasen. Dabei sah er, dass ein rechteckiges Stück herausgestochen und neu eingesetzt worden war. Er ging in die Knie und hob die Grasnarbe an. In der Erde darunter lag ein großer verschließbarer Folienbeutel, in dem man für gewöhnlich Fleisch marinierte. In dem Beutel steckte ein Buch ohne Aufschrift auf dem Deckel oder dem Buchrücken.
    Ramone zog Asas Tagebuch aus dem Beutel. Er setzte sich in den Schatten eines Ahornbaums in einer Ecke des Geländes, lehnte sich gegen den Stamm und schlug das Tagebuch auf.
    Er begann zu lesen. Die Zeit verging; die Schatten auf dem Friedhof wurden länger und krochen auf seine Füße zu.

VIERUNDDREISSIG

    Dan Holiday saß am Steuer seines Town Car, der an der Peabody stand, und beobachtete den Ein- und Ausfahrtbereich des Parkplatzes hinter der Wache des 4th District. T.C. Cook hatte seinen Marquis oben an der Georgia am Straßenrand geparkt, in Fahrtrichtung Norden. Er hatte seinen verblassten braunen Stetson mit der bunten Feder im schokoladenfarbenen Band auf, trug ein Sportjackett mit

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