Der Totengarten
oder?«
»Klar.«
»Die hatten angeblich auch einen auf seinen schwarzen Arsch angesetzt. Er hatte einen Mann umgelegt, der mit ihnen in Verbindung stand, keine Ahnung, ob ihm das vorher überhaupt klar war. Ich schätze, darum ist er aus der Stadt verschwunden.«
»Aber sie haben ihn gekriegt«, sagte Gaskins.
»Du weißt doch, früher oder später geht es mit jedem mal zu Ende. Was zählt, ist, wie man bis dahin gelebt hat.«
»Waren es die Bullen oder die Corleones?«
»Das FBI hat ihn in Tennessee erwischt. Oder in West Virginia, was weiß ich. Im Schlaf, in irgendeinem Motel.«
»Haben sie ihn erschossen?«
»Nee, er ist eingefahren. Ich glaub, er hat im Bundesgefängnis in Marion gesessen. Und da haben ihn weiße Jungs kaltgemacht.«
»Aryan Brotherhood?«
»M-hm. Damals wurden Weiße und Schwarze da getrennt gehalten. Tja, aber du weißt ja, ein paar Gefängniswärter in Marion haben mit diesen weißen Rassisten gemeinsame Sache gemacht. Einige Leute wollen gesehen haben, wie die Wachen Messer an die von der AB verteilten, kurz bevor sie Red draußen im Hof angegriffen haben. Er hat sie eine Stunde lang mit einem Mülltonnendeckel abgewehrt. Acht von diesen Wichsern waren nötig, um ihn zu erledigen.«
»Der Junge war ein Kämpfer.«
»Das kann man wohl sagen. Red Fury war ein echter Mann.«
Brock mochte die alten Geschichten über Gesetzlose wie Red. Männer, die sich einen Scheißdreck um Recht und Ordnung scherten oder darum, ob oder wann es ihnen selbst an den Kragen ging. Dass andere Männer in Bars und an Straßenecken von einem redeten, wenn man tot und begraben war, das machte das Leben lebenswert. Sonst war man nichts Besonderes. Schließlich sprang jeder früher oder später in die Kiste, ob Verbrecher oder redlicher Bürger. Deshalb kam es nur darauf an, einen Namen zu hinterlassen.
»Trink dein Bier aus«, sagte Brock. »Wir haben noch was vor.«
Draußen auf der Straße gingen Brock und Gaskins zu Brocks Wagen, einem schwarzen 96er-Chevrolet Impala SS. Er stand an der Wiltberger, vor einem Block trister Reihenhäuser, die vorne statt Veranden schlichte Terrassen hatten. Die Wiltberger Street, die eher nach Baltimore als nach D.C. gepasst hätte, verlief hinter dem legendären Howard Theater – früher die Bühne für schwarze Musiker und Comedians in diesem Teil der USA, das Südstaaten-Pendant zum Apollo Theater in Harlem. Seit den Aufständen war es eine ausgebrannte Ruine, und jetzt umgab ein Bauzaun das Gelände.
»Sieht aus, als würden sie endlich wieder was aus dem Howard machen«, bemerkte Gaskins.
»Bestimmt stellen sie damit das Gleiche an wie mit dem Tivoli«, sagte Brock. »Wenn du mich fragst: Die versuchen doch nur, die ganze verdammte Stadt zu versauen.«
Sie fuhren aus LeDroit in den Northeast und runter nach Ivy City, unterhalb der New York Avenue. Das war seit vielen Jahren eine der übelsten Gegenden der Stadt, abgelegen von den Hauptverkehrsadern, missachtet und vergessen, eine Ansammlung kleiner Straßen mit Lagerhäusern, heruntergekommenen Reihenhäusern und Wohnblocks aus Ziegel mit Türen und Fenstern aus Sperrholz. Hier hausten schon lange nur noch Prostituierte, Crack-Abhängige, Junkies, Dealer und verelendete Familien. Ivy City wurde fast vollständig von der Gallaudet University und dem Mount Olivet Cemetery eingeschlossen, mit einer Verbindung zum Viertel Trinidad, das einmal die Basis des berühmtesten Drogenbarons der Stadt gewesen war: Rayful Edmond.
Doch jetzt wechselten plötzlich überall in der Stadt Immobilien den Besitzer, wurden renoviert oder abgerissen und durch Neubauten ersetzt, selbst in Gegenden, von denen kaum noch jemand geglaubt hatte, dass sie sich je wieder erholen würden: im äußersten Northeast und Southeast, in Petworth und Park View, LeDroit und in der Ufergegend um South Capitol, wo gerade der Bau des neuen Baseballstadions vorbereitet wurde. Selbst hier in Ivy City sah man an scheinbar unattraktiven Grundstücken Schilder, auf denen »Zu verkaufen« oder »Verkauft« stand. Apartmenthäuser, in denen noch vor kurzem Obdachlose, Junkies und Ratten gehaust hatten, wurden entkernt und zu modernen Wohnanlagen ausgebaut. Häuser wurden gekauft und ein halbes Jahr später wieder abgestoßen. Arbeiter entfernten das morsche Holz, setzten Fenster in die Rahmen und trugen neue Anstriche auf. Dachdecker wuchteten Schindeln und Teereimer hoch, und auf den Gehwegen vor den Gebäuden standen Grundstücksmakler, die sich in dieser
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