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Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Pelecanos
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wir uns treffen?«, fragte Brock.
    »Ich …« Charles bemühte sich zu sprechen, doch er konnte nicht.
    »Na, heulst du etwa?«
    Charles schüttelte den Kopf.
    »Bist du ein Mädchen oder ein Mann?«
    »Ich bin ein Mann.«
    »Ich bin ein Mann«, äffte Brock ihn nach. »Na, wenn, dann bist du aber ein ganz schön jämmerliches Exemplar.«
    Charles lief eine Träne über die Wange. Brock lachte.
    »Hol dir das Geld und lass uns verschwinden«, drängte Gaskins, der ihnen noch immer den Rücken zukehrte.
    »Ich frage dich noch einmal«, sagte Brock. »Wo wollten wir uns treffen, Charles?«
    »Hier.«
    »Gut. Und warum warst du nicht da?«
    »Weil ich kein Geld hatte«, antwortete Charles.
    »Du bist doch noch im Geschäft, oder?«
    »Ich hatte gerade Nachschub gekauft. Bald hab ich wieder Geld.«
    »Ah, du hast also bald welches.«
    »M-hm. Sobald ich meine Ware verkauft hab.«
    »Und was ist das da für eine Beule in deiner Hosentasche? Jetzt erzähl mir bloß nicht, das wäre deine Männlichkeit, denn wir haben ja gerade festgestellt, dass du so etwas gar nicht hast.«
    »Lassen Sie ihn in Ruhe«, mischte sich James ein.
    Brock richtete seine Aufmerksamkeit auf den kleineren der beiden Jungen, der nicht älter als zwölf sein konnte. Er hatte seine Haare zu kleinen Zöpfen geflochten und eine NY-Kappe schräg auf dem Kopf.
    »Hast du was gesagt?«, fragte Brock.
    James reckte das Kinn und sah Brock zum ersten Mal in die Augen. Mit geballten Fäusten erwiderte er: »Ich hab gesagt, Sie sollen meinen Kumpel in Ruhe lassen.«
    Brocks Augen wurden schmal. »Sieh mal einer an. Hey, Conrad, der Junge hier scheint richtig Mumm zu haben.«
    »Ich habe ihn gehört«, sagte Gaskins. »Lass uns gehen.«
    »Aber jetzt bin ich hier«, sagte Charles verzweifelt. »Ich bin nicht weggerannt. Ich hab den ganzen Tag darauf gewartet, dass Sie kommen.«
    »Du hättest mich aber nicht anlügen sollen. Jetzt muss ich dir leider eine Lektion erteilen.«
    »Bitte«, flehte Charles.
    »Hör auf zu winseln, du kleiner Waschlappen.«
    Brock packte die rechte Tasche von Charles’ tiefsitzenden Jeans-Shorts und zog so heftig daran, dass der Junge auf den Gehweg fiel. Die Naht gab nach, und das Taschenfutter kam zum Vorschein. Brock riss die Tasche ab und krempelte sie um. Er fand Bargeld darin und ein paar Zehn-Dollar-Päckchen Marihuana. Er warf das Marihuana auf den Boden und zählte das Geld. Er runzelte die Stirn, steckte es aber trotzdem ein.
    »Eins noch«, sagte Brock.
    Er trat Charles in die Rippen, dann trat er ein zweites Mal zu, die Zähne gebleckt. Charles krümmte sich, und Galle quoll aus seinem offenen Mund. James wandte den Blick ab.
    Gaskins packte Brock am Arm und trat zwischen ihn und Charles. Die beiden Männer starrten einander an, bis das Feuer in Brocks Augen erlosch.
    »Es wäre so leicht gewesen«, sagte Brock, während er kopfschüttelnd zurücktrat. »Ich hatte sogar vor, mit dir zu teilen. Ich wollte dir eigentlich nur die Hälfte abnehmen. Aber du musstest es ja versauen und mich anlügen. Und jetzt denkst du wahrscheinlich, diesem Wichser zahlen wir’s heim. Wir machen ihn fertig, oder wir treiben jemanden auf, der ihn fertigmachen kann, und dann soll der Arsch büßen.« Brock zog sein Hemd glatt. »Aber weißt du was? Das wird dir nicht gelingen. Keiner von euch kann es mit mir aufnehmen. Und ihr habt niemanden, der euch beschützt. Denn wenn ihr jemanden kennen würdet, der hart genug dafür ist, dann wäre derjenige entweder tot oder im Knast. Wenn es überhaupt irgendwen in eurem Leben gäbe, der sich auch nur einen Scheißdreck um euch schert, würdet ihr gar nicht hier an dieser Straßenecke rumlungern. Also, was habt ihr? Nur euch selbst, ihr jämmerlichen kleinen Hosenscheißer.«
    Der Junge am Boden sagte nichts, und auch sein Freund schwieg.
    »Wie heiße ich?«
    »Romeo«, brachte Charles heraus, die Augen vor Schmerz zusammengepresst.
    »Wir kommen wieder.«
    Brock und Gaskins gingen zurück zu dem Impala SS. Keiner der Anwohner oder Passanten hatte Anstalten gemacht, den Jungen zu helfen, und jetzt wandten sie den Blick ab. Brock wusste, dass niemand mit der Polizei sprechen würde. Trotzdem war er unzufrieden. Die Sache war zu leicht gewesen, für einen Mann von seinem Ruf nicht der Mühe wert. Es war keine Herausforderung gewesen, und die Ausbeute war lächerlich.
    »Wie viel haben wir?«, fragte Gaskins.
    »Hundertvierzig.«
    »Hat sich wohl kaum gelohnt.«
    »Keine Sorge, das war erst der

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