Der Totengarten
Danach hatten sie sich an den Spielfeldrand gesetzt, mit dem Rücken an den Maschendrahtzaun gelehnt, Erinnerungen an ihren Freund ausgetauscht und über ihn gesprochen, über sein Leben mit dem Geheimnis und wie er es beendet hatte. Diego hatte seinem Vater versprochen, niemandem etwas von der Waffe zu sagen, und er hielt sich daran, er erzählte nicht einmal Shaka davon. Die meiste Zeit hatten die beiden nur so in den hellen Tag hineingestarrt oder den Spaniern drüben auf dem Fußballplatz zugesehen. Gelegentlich kam auch jemand aus der Nachbarschaft vorbei, den sie kannten. Sie hatten sich nicht viel zu sagen.
»Ich geh jetzt mal nach Hause«, sagte Diego irgendwann.
»Warum? Du hast doch keine Hausaufgaben.«
»Ich fang nächste Woche wieder in meiner alten Schule an.«
»Nächste Woche«, sagte Shaka. »Dann musst du jetzt doch nichts machen.«
»Ob du’s glaubst oder nicht, ich lese gerade ein Buch«, sagte Diego. »Es heißt Die mutige Mattie. Mein Vater hat es mir geschenkt. Ist ziemlich gut.«
»Komm schon, Dago, das glaubst du doch selbst nicht. Sobald du nach Hause kommst, wirst du dich aufs Sofa hauen und die Redskins sehen. Die spielen heute gegen Dallas, Kumpel.«
»Stimmt.«
Sie gingen die Einkaufspassage entlang. Unten beim Friseursalon schlugen sie zum Abschied die Fäuste gegeneinander.
»Bis dann, Kumpel«, sagte Shaka.
»Bis dann.«
Shaka ging nach Westen zu dem Haus, in dem seine Mutter wohnte. Dabei dribbelte er mit der linken Hand seinen Basketball, die rechte hinter dem Rücken, wie sein Trainer es ihm aufgetragen hatte. Diego ging die Rittenhouse hinauf zu dem blassgelben Haus im Kolonialstil, das sein Zuhause war, seit er denken konnte.
Seine Mutter war jetzt sicher in der Küche und dachte über das Abendessen nach, oder sie hielt auf der Couch im Wohnzimmer ein Nickerchen – ruhte ihre Augen aus, wie sie es nannte. Alana las wahrscheinlich oben in ihrem Zimmer ihr Bilderbuch über Kaninchen oder spielte mit ihren Puppen und sprach mit unterschiedlichen Stimmen für sie. Und sein Vater war inzwischen hoffentlich auch wieder zu Hause, saß in seinem Sessel, sah das Spiel Skins gegen Cowboys, schlug mit der Faust auf die gepolsterte Armlehne und feuerte die Spieler an. Wischte sich das Haar aus der Stirn und strich sich über seinen schwarzen Schnurrbart.
Diego blieb auf halbem Weg stehen. Der Tahoe seines Vaters war an der Straße geparkt, der Volvo seiner Mutter in der Einfahrt. Oben auf der Veranda stand Alanas lila Fahrrad mit den Wimpeln am Lenker.
Alles war so, wie es sein sollte. Diego ging zu seinem Haus und berührte den Griff der Eingangstür, warm von der Nachmittagssonne.
VIERZIG
Detective Sergeant T.C. Cook warf noch einen Blick auf das tote Mädchen, das in einem Gemeindegarten nahe der E Street, am Rand des Fort Dupont Park, im Gras lag. Ihre starren Augen reflektierten die blauen und roten Blinklichter der Streifenwagen, die noch immer am Tatort standen. Cook untersuchte eingehend die Zöpfe des Mädchens, die mit bunten Perlen geschmückt waren, und stellte fest, dass einer kürzer war als die anderen. Damit bestand für Cook kein Zweifel mehr: Die Tote war tatsächlich eine von ihnen.
»Ich werde ihn finden, Liebes«, sagte Cook so leise, dass niemand anders es hören konnte.
Cook richtete sich mühsam auf. Es wurde ihm immer beschwerlicher – mit der Zeit, nachdem er jahrelang neben Opfern in die Hocke gegangen war, ließen ihn seine Knie im Stich. Er klopfte eine Viceroy aus seinem Päckchen und steckte sie an. Als das Nikotin in seine Lunge strömte, war seine Sucht befriedigt. Cook nickte dem Leichenbeschauer zu und ging ein wenig beiseite, um die unmittelbare Umgebung der Leiche nicht mit Asche zu verunreinigen.
Er stellte fest, dass der Superintendent of Detectives und Captain Bellows inzwischen in ihre Büros zurückgekehrt waren, und entspannte sich ein wenig; wenigstens musste er sich jetzt nicht mehr mit den Weißhemden herumschlagen. Er nannte sie Spaghettideckel, wegen der albernen Kordeln an ihren Hutkrempen. Für solche Leute hatte er nichts übrig.
Cook ging zum Absperrband, wo zwei weiße Uniformierte standen und Schaulustige, Reporter und Kameraleute fernhielten. Einer war groß, blond und hager, der andere ein dunklerer Typ von mittlerer Größe und Statur. Cook hatte sie vorhin hart angefasst, aber es gab keinen Grund, sich zu entschuldigen. Der Rüffel war berechtigt gewesen; jetzt machten sie ihre Arbeit ordentlich.
»Halten Sie
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