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Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Pelecanos
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dem Bett und hörte auf seinem tragbaren Player leise Musik, eine CD von Backyard. Er blätterte in einem Don Diva- Heft, schien jedoch nicht besonders aufmerksam zu lesen. Seine Augen waren tief gerändert, er hatte offensichtlich geweint. Für ihn war die Welt aus den Fugen geraten. Sie würde sich wieder ein Stück weit einrenken, aber die tröstliche Sicherheit, die er vorher gekannt hatte, war für immer verloren.
    »Alles okay mit dir?«
    »Ich bin erledigt, Dad.«
    »Lass uns ein bisschen reden«, sagte Ramone und zog sich einen Stuhl an das Bett seines Sohnes. »Danach solltest du schlafen.«
    Kurze Zeit später schloss Ramone Diegos Tür hinter sich und ging über den Flur ins Schlafzimmer. Regina lag in dem Doppelbett und las im Schein der Nachttischlampe ein Buch, den Kopf auf einem doppelt gelegten Kissen. Sie wechselten einen langen Blick, dann zog sich Ramone aus und ging ins Bad, wusch sich gründlich und bemühte sich, die Alkoholfahne loszuwerden. In Boxershorts kehrte er zum Bett zurück und schlüpfte unter die Decke. Regina drehte sich zu ihm herum, und sie umarmten einander. Er küsste ihre weichen Lippen, dann noch einmal, spürte, dass er steif wurde, und küsste sie mit offenem Mund. Sie schob ihn sanft von sich.
    »Was glaubst du eigentlich?«, protestierte Regina. »Gestern erst, und heute schon wieder? Du wirst noch unersättlich.«
    »Man wird doch wohl träumen dürfen?«
    »Träumen kannst du im Schlaf. Kommst hier zwei Abende nacheinander stinkend rein.«
    »Das kommt von dem Mundwasser. Da ist Alkohol drin.«
    »Du meinst dieses Mundwasser aus Dublin?«
    »Na schön, ich gestehe.«
    »Du und dein neuer Saufkumpan, Doc Holiday.«
    »Doc ist in Ordnung.«
    »Wie sieht er jetzt eigentlich aus?«
    »Er hat einen kleinen Bauch angesetzt. Sie nennen ihn das Holiday-Geschwür.«
    Sie umarmten einander noch einmal. Wenn Regina sich an ihn schmiegte, passten sie perfekt zusammen. Es war, als seien sie eine Person, tagsüber geteilt, abends wieder vereint. Er konnte sich nicht vorstellen, von ihr getrennt zu sein, nicht einmal im Tod.
    »Du stinkst nach Alkohol und Zigaretten, wie damals, als wir uns kennengelernt haben«, sagte Regina. »Wenn du nach der Sperrstunde noch bei mir aufgetaucht bist. Wie hieß noch dieses Lokal, wo all die weißen New-Wave-Mädchen rumhingen? Constipation?«
    »Das Constable. Aber das war nicht ich, damals. Wenigstens kommt es mir heute nicht mehr so vor.«
    »Jetzt haben wir das hier. Und all die Herausforderungen, die es mit sich bringt.«
    »Aber auch die guten Seiten.«
    Sie hatte ihre Nachttischlampe ausgeknipst, und die beiden lagen im Dunkeln. Ihre Augen gewöhnten sich allmählich daran. Ramone strich mit den Fingern über Reginas Arm.
    »Was wird aus Diego?«, fragte Regina.
    »Ich habe mit ihm gesprochen«, sagte Ramone. »Er kann das Jahr erst mal in seiner alten Schule beenden. Ich habe das Gefühl, das ist das Beste. Nächstes Jahr können wir ihn auf eine dieser weniger elitären katholischen Highschools schicken. Carroll, DeMatha … Beide würden ihm guttun.«
    »Wie sollen wir das bezahlen?«
    »Es kostet ja kein Vermögen. Verdammt, wenn es sein muss, verkaufe ich das Haus in Silver Spring. Allein das Grundstück ist heute eine ordentliche Stange Geld wert. Wir schaffen das schon.«
    »Habt ihr auch über Asa gesprochen?«
    »Ja.«
    »Wie hat Diego es aufgenommen?«
    »Es hat seine Welt in den Grundfesten erschüttert. Er macht sich jetzt wahrscheinlich Vorwürfe für jedes einzelne Mal, das er seinen Freund ein Weichei oder schwul genannt hat. Ohne zu wissen, was der Junge insgeheim durchmachte.«
    »Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet, so zu sein, in diesem Klima? Pausenlos gesagt zu bekommen, dass du nicht erwünscht bist, dass du keinen Platz in dieser neuen mitfühlenden Welt hast. Der ganze Hass da draußen, und die Politiker gießen noch Öl ins Feuer. Ich weiß nicht, welche Bibel diese Hasser lesen, aber es ist nicht die, nach der ich erzogen wurde.«
    »Vergiss diese elenden Idioten. Aber was ist mit den ganz normalen Leuten, mit denen man tagtäglich zu tun hat? Die zwar nicht predigen, aber trotzdem Hass verbreiten? Diego hat sich nichts gedacht, aber diese Sache jetzt hat ihn dazu gebracht, sich einmal gründlich zu überlegen, was er so von sich gibt. Ich selbst bin auch ins Grübeln gekommen.«
    »Du und deine Freunde …«
    »Ja, genau. Bei der Arbeit werfen wir uns ständig gegenseitig solchen Mist an den Kopf. Dir würde

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