Der Totengarten
wenn du auf Bilder von nackten Frauen stehst, sieh dir die mal an.«
Es waren Aufnahmen der toten Jacqueline Taylor. Auf den Bildern lag sie auf dem Rücken, nackt auf einer großen schwarzen Plastikplane. Bevor ihre Schwester sie identifizierte, hatte man die Leiche hergerichtet, doch diese Fotos waren direkt nach ihrer Ankunft im Leichenschauhaus aufgenommen worden. Besonders deutlich waren die Stichwunden an ihrem Hals und an den Brüsten, eine davon war fast abgetrennt. Ihre Augen waren offen, das eine etwas weiter als das andere, sodass der Eindruck entstand, sie sei betrunken. Ihre Zunge war geschwollen und ragte ein wenig aus dem Mund.
»Da hast du Fleisch zu sehen«, sagte Antonelli und legte die Füße auf den Tisch. Dabei rutschten seine Hosenbeine hoch, sodass ein Knöchelhalfter und das Griffstück seiner Glock zum Vorschein kamen.
Bakalis sah sich die Fotos kommentarlos an, eins nach dem anderen. Obwohl sie einen Mörder überführt hatten, war ihnen nicht zum Feiern zumute. In diesem Fall konnte sich niemand über das Ergebnis freuen.
»Armes altes Mädchen«, bemerkte Green.
»Er kann einem aber auch leidtun«, sagte Ramone. »Der Bursche war bis vor einem Jahr völlig unbescholten. Dann verliert er seinen Job, fährt auf Crack ab, muss mitansehen, wie seine Frau was mit irgendeinem dahergelaufenen Typen anfängt, der seine Wäsche in derselben Wohnung hat, in der Tyrees Kinder schlafen …«
»Ich kannte seinen älteren Bruder«, warf Green ein. »Verdammt, William hab ich auch öfter auf der Straße gesehen, als er noch ein Kind war. Er kam aus einer anständigen Familie. Da soll noch jemand behaupten, Drogen würden einem nicht das Leben versauen.«
»Selbst wenn er sich schuldig bekennt und auf mildernde Umstände plädiert«, sagte Rhonda, »achtzehn bis fünfundzwanzig Jahre wird er kriegen.«
»Und für die Kinder ist es ein Schock fürs Leben«, ergänzte Green.
»Muss ne tolle Frau gewesen sein«, bemerkte Bakalis, den Blick noch immer auf die Fotos gerichtet. »Ich meine – es hat ihn so fertiggemacht, sie zu verlieren, dass er sie umbringen musste, damit kein anderer Mann sie bekommt.«
»Wenn er diese Scheiße nicht geraucht hätte«, sagte Green, »wäre er vielleicht nicht so durchgedreht.«
»Das war nicht nur das Crack«, widersprach Antonelli. »Für Muschis mordet man geradezu zwanghaft, das ist eine erwiesene Tatsache. Selbst für Muschis, die man nicht haben kann.«
»Muschis können Berge versetzen«, sagte Rhonda.
Bakalis ließ die Polaroids auf seinen Schreibtisch fallen, dann legte er die Hände auf die Tastatur seines Computers. Doch seine Finger bewegten sich nicht. Er starrte bloß auf den Bildschirm.
»Hey, Plug«, sagte Bakalis. »Hast du nicht Lust, ’ne Vorladung zu schreiben?«
»Hast du nicht Lust, mir einen zu blasen?«
Das Gespräch der beiden ging eine Weile lang so weiter, bis Gene Hornsby mit der Tüte Beweismaterial eintraf. Ramone bedankte sich und begann, die einzelnen Beweisstücke zu registrieren und den Papierkram zu erledigen. Dazu gehörte auch, die wichtigen Details zu dem Fall in das Buch einzutragen. So hieß im VCB eine große Mappe, in der sowohl offene als auch abgeschlossene Mordfälle dokumentiert wurden. Darin standen neben den Namen der leitenden Ermittler die Motive und weitere Fakten, die bei der Strafverfolgung helfen könnten und die außerdem an bedeutsame Ereignisse in der Stadtgeschichte erinnern sollten.
Als die Detectives schließlich Feierabend machten, hatten sie eine volle Schicht plus drei Überstunden hinter sich.
Auf dem Parkplatz draußen vor dem VCB, hinter dem Penn-Branch-Einkaufszentrum von Southeast, gingen Gus Ramone, Bo Green, Gene Hornsby und Rhonda Willis zu ihren Wagen.
»Ich gönne mir gleich erst mal ein schönes heißes Bad«, sagte Rhonda.
»Musst du deine Söhne nicht irgendwohin fahren?«, erkundigte sich Green.
»Nein, heute Abend Gott sei Dank nicht.«
»Hat jemand noch Lust auf ein Bier?«, fragte Hornsby. »Ihr dürft mir gern eins ausgeben.«
»Ich habe Training«, erwiderte Green, der eine Jungen-Footballmannschaft trainierte.
»Was ist mit Ramone?«, wollte Hornsby wissen.
»Ein andermal«, sagte Rhonda, bevor Ramone überhaupt antworten konnte.
Ramone hörte gar nicht zu. Er war in Gedanken bei seiner Frau und seinen Kindern.
SIEBEN
Diego Ramone stieg in der Nähe der Metrostation aus dem Bus der Linie 12 und ging zu Fuß über die Distriktgrenze nach Hause. Es war kein guter
Weitere Kostenlose Bücher