Der Totengarten
verließ ihr Haus und ging zu den Johnsons hinüber, wo Colin Tohey noch immer ziemlich erschüttert stand. Tohey erzählte Bryant, dass Asa Johnson tot in dem großen Gemeindegarten bei der Blair Road gefunden worden sei. Helena war zusammengebrochen, als sie es erfuhr, deshalb hatte man den Notarzt gerufen. Bryant hatte selbst eine Tochter in Asas Alter und wusste über den Bekanntenkreis des Jungen Bescheid. Sie rief sofort Regina Ramone an. Schließlich waren Diego und Asa befreundet gewesen, und so dachte sie sich, Regina würde es erfahren wollen. Außerdem war sie neugierig – Gus hatte sicher nähere Informationen. Wie sich herausstellte, hatte Regina noch nichts davon gehört, und sie sagte, soweit sie wisse, auch Gus nicht, sonst hätte er sie bestimmt angerufen. Sie beendete das Gespräch, ohne Marita Bryant ausreden zu lassen, und versuchte sofort, Gus ausfindig zu machen.
»War dein Sohn gut mit dem Jungen befreundet?«, fragte Rhonda Willis, die auf dem Beifahrersitz des Vierzylinder-Impala saß, des einfachsten Modells, das Chevrolet herstellte. Sie und Ramone fuhren gerade die North Capitol Street entlang.
»Diego hat viele Freunde«, erwiderte Ramone. »Asa war nicht sein bester, aber Diego kannte ihn schon ziemlich gut. Die beiden haben letztes Jahr zusammen Football gespielt.«
»Wird er es sich sehr zu Herzen nehmen?«
»Ich weiß nicht. Der Tod meines Vaters ging ihm nahe, weil er gesehen hat, wie ich trauerte. Aber das hier ist auf eine ganz andere Art schlimm. Es war schließlich kein natürlicher Tod.«
»Wer wird es ihm sagen?«
»Regina holt ihn ab und erzählt es ihm. Ich rufe ihn später an. Und heute Abend werde ich mit ihm reden.«
»Sprecht ihr zu Hause viel über Gott?«, fragte Rhonda.
»Nicht besonders«, antwortete Ramone.
»Bei solchen Gelegenheiten sollte man das aber.«
Rhondas Erwachsenenleben hatte sie vor viele Herausforderungen gestellt; immerhin hatte sie vier Jungen allein großgezogen. Ihr Glaube half ihr offenbar. Er war ihr Fels und ihre Stütze, und sie sprach gern davon. Ramone nicht.
»Was hast du für ein Gefühl?«, fragte Rhonda und brach damit das Schweigen.
»Gar keins«, sagte Ramone.
»Du hast diesen Jungen doch gekannt. Und du kennst seine Familie.«
»Seine Eltern sind anständige Leute. Sie haben immer gut auf ihn aufgepasst.«
»Und weiter?«
»Sein Vater ist ziemlich streng. Sport, Schule und überhaupt … Er hat seinen Sohn hart rangenommen.«
»So hart, dass er auf dumme Gedanken kommen konnte?«
»Ich weiß es nicht.«
»Damit kann man nämlich genauso viel Schaden anrichten, wie wenn man sich gar nicht kümmert.«
»Stimmt.«
»Hast du jemals das Gefühl gehabt, dass der Junge in krumme Sachen verwickelt sein könnte?«
»Nein. Das heißt natürlich nicht, dass er es nicht war. Aber es gibt keinen Grund, so etwas anzunehmen.«
Rhonda sah ihren Kollegen von der Seite an. »Mochtest du ihn?«
»Asa war ein guter Junge. Er war in Ordnung.«
»Ich meine, was dachtest du über ihn? Du weißt schon, wenn man einen Jungen so ansieht und sich fragt, was für ein Typ er ist?«
Ramone dachte daran, wie oft er Asa auf dem Footballfeld gesehen hatte, wie er halbherzig angriff oder dem Ballträger manchmal sogar auswich. Er dachte daran, wie es gewesen war, wenn Asa bei ihnen zu Hause war – er hatte weder ihn, Ramone, noch Regina direkt angesprochen, ja, wenn es sich vermeiden ließ, hatte er sie nicht einmal gegrüßt. Ramone wusste genau, worauf Rhonda hinauswollte. Manchmal schaute man einen Jungen an, stellte ihn sich als Mann vor und dachte: Das wird ein harter Bursche oder eine starke Persönlichkeit oder einer, der jedes Ziel erreichen wird. Manchmal sah man einen Jungen an und dachte: Ich wäre stolz, wenn du mein Sohn wärest. Asa Johnson war kein solcher Junge gewesen.
»Es fehlte ihm an Charakter und Kampfgeist«, sagte Ramone. »Mehr fällt mir eigentlich nicht ein.«
Dann war da noch etwas, eine Art Schwäche, die Ramone manchmal in Asas Augen gesehen hatte. Als sei der Junge das geborene Opfer, jemand, der sich nicht zur Wehr setzte.
»Wenigstens habe ich deine ehrliche Meinung gehört.«
»Das hat aber nichts zu bedeuten«, sagte Ramone etwas verlegen.
»Es ist mehr, als Garloo sehen wird. Du weißt ja, er wird diesen Jungen ansehen und ganz schnell seine Meinung über ihn haben. Und damit will ich nicht einmal sagen, dass Bill so einer ist. Es ist nur … Der Mann hat einen beschränkten Horizont. Er nimmt gern
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