Der Totengarten
geistige Abkürzungen.«
»Wie auch immer, ich muss mir die Sache vor Ort selbst ansehen.«
»Falls wir jemals dort ankommen.«
»Die anständigen Wagen geben sie alle der regulären Polizei«, bemerkte Ramone.
»Und für uns bleiben nur die Schrottkarren«, pflichtete Rhonda ihm bei. Ramone gab Gas, erreichte jedoch nur, dass der Motor zu klopfen anfing.
Als Ramone und Rhonda Willis am Tatort eintrafen, waren dort bereits weniger Schaulustige, dafür mehr offizielle Amtsträger und auch ein Zeitungsreporter. Wilkins und Loomis standen neben einem unauffälligen Chevy. Nicht weit von ihnen lehnte ein weißer Uniformierter an einem Streifenwagen. Wilkins hielt ein Notizbuch in einer Hand, eine brennende Zigarette in der anderen.
»Ah, der Ramone«, empfing Wilkins seine Kollegen. »Und Rhonda.«
»Hi, Bill«, begrüßte Ramone ihn.
Ramone überblickte kurz die Umgebung: die gewerblichen Gebäude, die Bahngleise und die Rückseiten der Häuser und der Kirche an der Wohnstraße, die am anderen Rand des Gartens in Ost-West-Richtung verlief.
»Die Dienststelle hat Bescheid gegeben, dass du rauskommst«, sagte Wilkins. »Du kanntest den Toten?«
»Ein Freund von meinem Sohn«, bestätigte Ramone.
»Asa Johnson?«
»Wenn er es ist.«
»Er trug einen Schülerausweis mit Foto an einer Kette um den Hals. Und sein Vater hat die Leiche identifiziert.«
»Ist der Vater noch hier?«
»Nein, im Krankenhaus. Seine Frau ist völlig zusammengebrochen. Er ist jetzt bei ihr. Sah selbst nicht besonders gut aus.«
»Habt ihr schon etwas?«, fragte Ramone.
»Schuss in die Schläfe, Austrittswunde in der Schädeldecke. Wir haben die Kugel gefunden. Stark verformt, aber wir können das Kaliber bestimmen.«
»Keine Waffe.«
»M-hm.«
»Patronenhülsen?«
»Auch nicht.«
»Was sagt dein Gefühl?«
»Bisher noch nichts.«
Ramone wusste ebenso gut wie Rhonda und Loomis, dass Wilkins bereits ein mögliches Szenario entworfen und einige Alternativen ausgeschlossen hatte. Das Erste, was Wilkins bei einem schwarzen Teenager mit tödlicher Schussverletzung zweifellos angenommen hatte, war »Drogenangelegenheit«. Ein Mord aus Rivalitätsgründen, das, was manche Cops in D.C. als »soziale Säuberung« bezeichneten. Der Darwinismus der Drogenszene.
Wilkins’ nächster Gedanke dürfte Raubüberfall gewesen sein. Nur – was konnte ein Junge wie Asa Johnson besitzen, das von Wert war? Die North-Face-Jacke, die Hundert-Dollar-Sneakers … beides war noch an der Leiche. Dieses Szenario war also zweifelhaft. Möglicherweise war der Mörder auf seinen Vorrat an Drogen oder auf das eingenommene Geld aus gewesen. Womit man wieder bei einer Drogenangelegenheit wäre.
Vielleicht, überlegte Wilkins, hatte das Opfer einem anderen die Freundin ausgespannt. Oder den Anschein erweckt, als hätte er es vor.
Oder Selbstmord. Aber schwarze Kids brachten sich normalerweise nicht um, dachte Wilkins, das war also auch unwahrscheinlich. Außerdem fehlte die Tatwaffe. Der Junge konnte sich ja nicht selbst das Licht ausgepustet und anschließend die Waffe beseitigt haben.
»Was meinst du, Gus?«, fragte Wilkins. »Hat der Junge gedealt?«
»Nicht dass ich wüsste«, erwiderte Ramone.
Bill Wilkins trug den Spitznamen »Garloo« wegen seiner großen, massigen Gestalt, der spitzen Ohren und des kahlen Schädels. Garloo war ein Spielzeugmonster, das Anfang bis Mitte der 60er bei Jungen sehr beliebt war, und Wilkins hatte den Spitznamen von einem Veteranen bekommen, der alt genug war, um sich noch an das Ungetüm im Lendenschurz aus seiner Jugend zu erinnern. Der Name passte: Wilkins atmete durch den Mund, hatte eine leicht gebeugte Haltung und einen schwerfälligen Gang. Wer ihm zum ersten Mal begegnete, hatte den Eindruck, er sei halb Mensch, halb Tier. In der Bar vom FOP, dem Berufsverband der Polizei, hing ein Papier-Medaillon an einem Bindfaden, auf dem mit Wachsmalkreide in ungelenker Schrift der Name «Garloo« aufgemalt war. Wenn Wilkins betrunken war, hängte er sich dieses Medaillon um. Er war abends häufig in der FOP-Bar.
Wilkins fehlten noch sechs Jahre, bis er die fünfundzwanzig voll hatte, und da er weder Ehrgeiz noch Hoffnung auf Beförderung hatte, brauchte er sich nur seinen Rang und seine Position im VCB zu erhalten. Dafür musste er eine akzeptable Aufklärungsquote vorweisen können. Ein schwieriger Fall war also keine Herausforderung für ihn, sondern ein Fluch.
Ramone mochte Wilkins ganz gern. Andere Polizisten vom
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