Der Totengarten
unfreiwillig sein Alter zu erkennen gab. »Wenn sie schon seine Platten zitieren, hätten sie wenigstens eine gute aussuchen können.«
»Es ging wohl um den Bezug zum Garten«, sagte Ramone.
»Ach, wirklich?«, versetzte Cook.
Plötzlich hatte Holiday das Gefühl, als ob etwas Kaltes ihn an der Schulter berührte. Er hielt inne und sah sich noch einmal nach den Schildern um, dann folgte er Ramone und Cook zu den Autos.
»Fährst du?«, fragte Ramone Holiday.
Im Town Car nahm Holiday seine Mütze vom Beifahrersitz und schob sie unter seinen Sitz.
Die Tankstelle mit Shop lag an dem Abschnitt der Route 214, der als Central Avenue bekannt war und von East Capitol nach P.G. County führte. Gegenüber befand sich ein Einkaufszentrum, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Inzwischen war der Abend hereingebrochen, aber das Grundstück war taghell erleuchtet. Getunte SUVs mit allerlei Extras und Importwagen mit Doppelrohrauspuff standen an den Zapfsäulen. Ramone hörte Gogo-Musik aus einem der Fahrzeuge und erkannte einen Song, den sein Sohn neuerdings öfter hörte, von einer Gruppe, die sich UCB nannte. Er fragte sich, ob Diego wie versprochen vor dem Dunkelwerden nach Hause gekommen war.
»Gehst du rein?«, fragte Holiday.
»Ja«, sagte Ramone, dem wieder einfiel, weshalb er hier war. »Wilson, richtig?«
»Nennt sich Reginald, nicht Reggie«, ergänzte Cook.
»Es wird nicht lange dauern.«
Ramone stieg aus. Die beiden anderen sahen ihm nach, wie er das Tankstellengelände überquerte, die Brust herausgedrückt, die Schultern gestrafft, die Glock sichtbar unter dem blauen Jackett.
»Ramone«, sagte Holiday. »Das ist ein Hundertfünfzigprozentiger, wie?«
»Manche sehen einfach aus wie Cops«, erwiderte Cook. »Ich war genauso.«
»Aussehen ist nicht alles«, bemerkte Holiday.
Sie saßen eine Weile lang schweigend da. Irgendwann griff Holiday nach den Zigaretten in seiner Jacketttasche, doch dann ließ er sie stecken, aus Rücksicht auf die Gesundheit des alten Mannes.
»Der da drüben tankt bestimmt für sechzig Dollar«, sagte Cook und sah zu, wie ein junger Bursche seinen Yukon Denali auftankte. »Man sollte doch meinen, dass die Leute auf kleinere Autos umsteigen würden, wenn der Sprit achtzig Cent pro Liter kostet.«
»In Amerika gibt es nie eine Benzinkrise«, erwiderte Holiday, »selbst wenn es eine gibt.«
»Autofahren und Fernsehen. Zwei Dinge, auf die die Leute in diesem Land nie verzichten werden.«
»Kennen Sie diese Apartments, Woodland Terrace, unten an der Langston Lane?«
»Sozialer Wohnungsbau«, sagte Cook. »Ich hatte da früher oft zu tun.«
»Manche dieser Leute zahlen elf Dollar Miete, bezuschusst. Und dann zahlen sie achtzig Dollar im Monat für Kabelanschluss und Pay-TV. Wenn das mal keine Sozialschmarotzer sind.«
»War das früher Ihr Bezirk?«
»Verdammt, ich war als Streifenpolizist im First, Sixth und Seventh District unterwegs, sowohl zu Fuß als auch motorisiert. Ich hätte jederzeit in jedem Distrikt angefangen. Die Leute kannten mich. Wenn sie mein Nummernschild sahen, haben sie mir zugewunken, die Drogendealer genauso wie ihre Großmütter. Nicht so unser Ramone – der Junge hat am Schreibtisch gesessen, während ich da draußen im Einsatz war.«
Cook nahm ein Päckchen zuckerfreien Kaugummi aus seiner Jacketttasche, zog einen Streifen heraus und bot Holiday ebenfalls einen an. Holiday winkte ab.
»Was ist zwischen Ihnen beiden passiert?«, fragte Cook.
»Ich hatte mit der ganzen Angelegenheit eigentlich nur am Rande zu tun«, erwiderte Holiday. »Ich wurde in etwas reingezogen, eine größere Sache, die zu der Zeit im Gange war.«
»Wie wurden Sie da hineingezogen?«
»Ramone ermittelte beim IAD gegen ein paar Kollegen von der Sitte, die von Zuhältern dafür geschmiert wurden, dass sie ihre Mädchen in Ruhe ließen. Die Undercover-Jungs konnten kaum jemanden festnehmen, weil die Mädchen immer rechtzeitig gewarnt wurden.«
»War das tatsächlich so?«
»Klar. Ich hatte auch schon davon gehört, dass ein paar von der Sitte korrupt waren.«
»Und dann?«
»Das IAD hat den Strich in der Gegend überwacht. Fotos von Undercover-Fahrzeugen aus und so. Sie haben mich fotografiert, wie ich mit diesem weißen Mädchen gesprochen habe, Lacy hieß sie. Mehr als einmal.«
»Was hatten Sie mit ihr zu tun?«
»Ich habe regelmäßig mit ihr gesprochen, um mir Informationen zu beschaffen, und allgemein, um zu erfahren, was auf der Straße so geredet wurde.
Weitere Kostenlose Bücher