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Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Pelecanos
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würde. Er hatte seinen Tahoe bei dem Garten an der Oglethorpe abgeholt und hatte vor, nach Hause zu fahren.
    »Was ist das?«, fragte Ramone, als Holiday die Schnapsgläser auf den von leeren Flaschen übersäten Tisch stellte.
    »Das ist kein Alizé oder Crown oder was auch immer sie heutzutage hier servieren«, erwiderte Holiday. »Das ist guter alter Jackie D, mein Lieber.«
    »Ist ’ne Weile her«, sagte Cook. »Aber, Teufel auch, was soll’s.« Er kippte seinen Whiskey hinunter, ohne dass sie angestoßen hätten.
    Ramone trank ebenfalls einen beherzten Schluck und genoss die beißende Schärfe. Holiday kippte sein Getränk auf ex und spülte ihn mit einem Bier hinunter. Er und Cook tranken Michelob, Ramone hatte ein Beck’s vor sich.
    »Wie spät ist es, Danny?«, fragte Cook.
    Holiday sah auf die Uhr, die gut sichtbar an der Wand hing. Dann erinnerte er sich an die Wanduhr in Cooks Haus, die mehrere Stunden nachging. Ihm wurde bewusst, dass Cook keine Armbanduhr trug, und ihm dämmerte: Der alte Sergeant konnte die Uhr nicht lesen.
    »Können Sie das von hier aus nicht erkennen?«, fragte Holiday.
    »Ich habe immer noch etwas Schwierigkeiten mit den Zahlen«, erklärte Cook.
    »Ich dachte, Sie können lesen.«
    »Kann ich auch. Die Schlagzeilen in den Zeitungen und die Leitartikel, wenn ich mir Mühe gebe. Aber mit den Zahlen klappt es einfach noch nicht wieder.«
    »Sie hatten einen Schlaganfall?«, erkundigte sich Ramone aus Höflichkeit, obwohl ihm das längst klar geworden war.
    »Nichts allzu Ernstes«, erwiderte Cook. »Hat mich nur vorübergehend etwas aus der Bahn geworfen.«
    »Wie telefonieren Sie?«
    »Es fällt mir schwer, selbst irgendwo anzurufen. Meine Tochter hat Kurzwahlnummern auf dem Festnetztelefon und auf dem Handy eingespeichert. Und dann ist da ja noch die Rückruffunktion. Außerdem habe ich diese Lady aus El Salvador, die einmal die Woche kommt und Dinge für mich erledigt, die ich nicht selbst kann. Das gehört zu den Leistungen, auf die ich als Polizeiveteran Anspruch habe. Sie vereinbart Termine für mich, füllt Schecks aus und so weiter.«
    »Es gibt doch auch sprachgesteuerte Telefone, oder nicht?«, fragte Holiday.
    »Kann sein, aber mit so was will ich gar nicht erst anfangen. Sehen Sie, das ist alles frustrierend, aber ich habe Leute gesehen, die schlimmere Probleme haben als ich. Wenn ich zu den Nachuntersuchungen ins VA Medical Center gehe, sehe ich immer eine Menge Typen, denen es viel schlechter geht als mir. Auch jüngere.«
    »Sie schlagen sich doch gut«, sagte Holiday.
    »Im Vergleich zu manch anderem geht es mir sogar ausgezeichnet.«
    Holiday steckte sich eine Marlboro an und blies den Rauch über den Tisch. Inzwischen hatte er keine Hemmungen mehr, neben Cook zu rauchen. Die Luft in der Bar stand bereits vor Qualm.
    »Es hat gutgetan, heute zu arbeiten«, sagte Cook.
    Holiday ging es ebenso. Aber das wollte er vor Ramone nicht zugeben.
    »Sie waren einer der Besten«, sagte Ramone und deutete mit seinem Schnapsglas auf Cook.
    »Ich war der Beste, zu meiner Zeit. Das ist keine Prahlerei, das ist eine Tatsache.« Cook beugte sich vor. »Darf ich Sie etwas fragen, Gus? Wie hoch ist Ihre Aufklärungsquote?«
    »Meine? Ungefähr fünfundsechzig Prozent.«
    »Das liegt über dem Durchschnitt, nicht wahr?«
    »Heutzutage, ja.«
    »Ich habe in meinen besten Jahren fast neunzig Prozent der Fälle aufgeklärt«, sagte Cook. »Natürlich wäre die Quote heute nicht mehr so hoch. Ich habe die Zeichen erkannt, als 86 Crack in die Stadt kam. Ich hätte noch ein paar Jahre arbeiten können, aber kurz danach habe ich aufgehört. Und wissen Sie, warum?«
    »Erzählen Sie.«
    »Die Arbeit war nicht mehr dieselbe. Die Regierung hat gedroht, dem Distrikt den Geldhahn zuzudrehen, wenn das MPD nicht mehr Uniformierte auf die Straßen schickt und mehr Leute wegen Drogendelikten festnimmt. Aber wissen Sie, wer wahllos Leute wegen Drogen hinter Gitter bringt, zerstört nur Familien und bringt die Bürger gegen die Polizei auf. Und ich rede nicht von Kriminellen. Ich rede von rechtschaffenen Bürgern, denn offenbar hat in den unteren Einkommensschichten in D.C. praktisch jeder einen Verwandten oder Freund, der mal wegen Drogenbesitz oder Ähnlichem eingesperrt wurde. Früher standen viele der Polizei wohlwollend gegenüber. Heute sind wir der Feind. Der Drogenkrieg hat die Polizeiarbeit ruiniert, wenn Sie mich fragen. Außerdem sind die Straßen dadurch für Cops gefährlicher geworden.

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