Der Totengarten
durchaus auf Rassismus treffen würden. Beweise dafür sah er fast jeden verdammten Tag. Es war hart für ihn, untätig zusehen zu müssen, wenn sein Sohn wegen seiner dunklen Haut oder seines Kleidungsstils schlecht behandelt wurde. Aber was konnte er schon tun? Jeden Verkäufer, der den Jungen aus dem Geschäft verwies, an die Wand stellen oder jeden Streifenpolizisten, der Diego etwas anhängen wollte, einschüchtern? Man musste sich gut überlegen, an welchen Fronten es sich lohnte zu kämpfen. Sonst würde man verrückt vor Wut.
Ramone war nicht darauf aus, irgendwelche Statements zu machen. Er hatte genug damit zu tun, die alltäglichen Herausforderungen zu bewältigen.
Er hielt vor seinem Haus. Reginas Volvo stand in der Einfahrt, und sie hatte die Verandabeleuchtung und das Licht oben im Flur angelassen. Alana konnte besser schlafen, wenn sie wusste, dass es vor ihrer Zimmertür hell war. Ramones Blick wanderte zu dem Licht in Diegos Fenster. Der Junge war offenbar noch wach. Wahrscheinlich lag er auf seinem Bett und hörte Musik. Vielleicht dachte er an ein Mädchen, das er mochte, oder träumte davon, einen langen Ball zu fangen, während die Uhr unaufhaltsam tickte. Alles war gut.
Ramone saß hinter dem Steuer seines Wagens. Er war betrunken und verwirrter denn je über Asas Tod. Irgendetwas war da heute gewesen; er hatte es gesehen oder bei einer Befragung gehört. Es zwinkerte ihm zu wie eine flirtende Frau. Jetzt wartete Ramone darauf, dass sie ihn küsste.
Sein Handy klingelte. Er las den Namen im Display und nahm den Anruf an.
»Was gibt’s, Rhonda?«
»Ich habe was, Gus. Diese ballistische Untersuchung, die ich angefordert habe – du weißt doch?«
»Erzähl.«
»Die Spuren an den Kugeln, mit denen Asa Johnson und Jamal White erschossen wurden, stimmen überein.«
»Soll das heißen –«
»Genau«, sagte Rhonda. »Sie stammen aus derselben Waffe.«
Fünf Minuten später betrat Ramone sein Haus. Er schloss seine Dienstmarke und die Waffe ein, stieg die Treppe hinauf, sah nach Alana und Diego, ging ins Schlafzimmer und verschloss die Tür hinter sich. Im angrenzenden Bad gurgelte er mit Mundwasser, putzte sich die Zähne und schluckte ein paar Aspirin. Als er sich im Schlafzimmer die Hose auszog, stolperte er und hörte, dass Regina sich im Bett regte. Er streifte auch die Boxershorts ab und ließ sie auf den Boden fallen. Dann knipste er die Nachttischlampe aus und schlüpfte nackt unter die Decke. Er schmiegte sich an Regina und küsste sie hinter dem Ohr und am Hals.
»Wo warst du, Gus?«
»Im Leo’s, einem Lokal.«
»Bist du betrunken?«
»Ein bisschen.«
Ramone schob die Hand unter den Gummizug von Reginas Pyjamahose. Sie wehrte ihn nicht ab. Er begann sie zu streicheln, sie führte seine Finger an die richtige Stelle, und als er sie fand, seufzte sie leise und öffnete den Mund. Ramone küsste ihre kühlen Lippen. Sie streifte ihre Pyjamahose mit den Füßen ab. Er stützte sich auf einen Ellenbogen, ihr zugewandt, und sie nahm ihn in die Hand und rieb ihn an der Innenseite ihres Oberschenkels, und als sie sich zu ihm umdrehte, drückte sie sein Glied gegen ihren warmen, flachen Bauch.
»Kennst du mich noch?«, fragte Ramone.
»Du kommst mir bekannt vor.«
In dieser Nacht liebten sie sich lange und innig.
SECHSUNDZWANZIG
Am nächsten Morgen ging es in der Dienststelle des VCB hektisch zu. Über Nacht waren zwei Leichen aufgetaucht, und es musste geklärt werden, wer welchen Fall übernahm und wer mit wem zusammenarbeitete. Es war Freitag, und die Detectives bereiteten sich auf den Anstieg von Todesfällen vor, der immer mit dem Wochenende einherging. Außerdem wurden an diesem Tag sowohl die Gehälter von Bundesbediensteten als auch die Sozialhilfe ausgezahlt, was für den Abend einen vermehrten Alkohol- und Drogenkonsum bedeutete, und daraus folgte allgemein auch eine Zunahme der Gewaltverbrechen.
Ramone, Bo Green und Bill Wilkins standen um Rhonda Willis herum, die an ihrem Schreibtisch thronte wie eine Königin.
»Woher wusstest du das?«, fragte Wilkins.
»Ich wusste es nicht«, erwiderte Rhonda. »Es war ganz schön gewagt, aber, hey, wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«
»Ich sehe immer noch nicht, welche Verbindung es zwischen Asa Johnson und Jamal White geben könnte«, sagte Ramone. »Dominique Lyons scheint ein Motiv für den Mord an White gehabt zu haben, aber weshalb sollte er Asa töten?«
Alle dachten darüber nach, doch niemand kam zu einem Ergebnis.
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