Der Totengarten
zu Hause.
»Richard, Mr. Gus ist hier.«
Richard Spriggs erwiderte, ohne den Kopf zu drehen: »Moment.« Seine Finger bearbeiteten geschickt den Controller.
»Schalte doch auf Pause«, sagte Ronald. »Nachher spielen wir weiter, dann mach ich dich fertig.«
Richard ließ sich nicht beirren. Sie hatten ein Match zwischen den Broncos und den Eagles programmiert. Gerade fing ein computeranimierter Champ Bailey einen Pass von Donovan McNabb ab, der für TO bestimmt war.
»Shit«, fluchte Richard.
»Das war eine Glanzleistung«, kommentierte Ronald spöttisch.
»Ich nehm dich auseinander, Ronald.«
»Ach ja?«, fragte Ronald. »Und wann?«
Richard hielt das Spiel an, und der Fernsehbildschirm wurde blau. Ramone setzte sich in einen Sessel vor einen Kaffeetisch, auf dem die Xbox und die Controller standen, dazu eine leere Nacho-Tüte und mehrere geöffnete Getränkedosen. Ronald setzte sich neben seinen Bruder auf die Couch. Richard trug knielange Shorts, die am Rand ausgefranst waren. Ramone vermutete, dass sie auch eine von Ronalds Kreationen waren.
»Was ist los, seid ihr beide krank?«, fragte Ramone.
»Haben heute den halben Tag frei«, sagte Ronald.
»Lehrerkonferenz«, ergänzte Richard grinsend.
»Machen Sie neuerdings Jagd auf Schulschwänzer, Mr. Gus?«
»Nein, dafür bin ich nicht zuständig. Das überlasse ich eurer Mutter.«
»Die ist ausgeflippt, als die Schule angerufen hat«, sagte Ronald.
»Wir haben ihr gesagt, dass wir krank sind«, berichtete Richard. »Wir haben uns beide den Magen verdorben – müssen wohl was Falsches gegessen haben.«
Ramone nickte nur. Er kannte die zwei schon von klein auf. Sie waren keine schlechten Jungs. Sie konnten sich wehren, wenn es nötig war, aber Gewalt und Provokation waren nicht ihre Sache. Sie lebten bei ihrer Mutter, die neben ihrer Vollzeitstelle noch einen Teilzeitjob hatte. Sie brauchte das Geld, um die beiden durchzubringen, aber auch, um ihnen die Unterhaltungselektronik, die Spiele und die Markensachen – Nike, North Face und Lacoste – kaufen zu können, die andere Jungen hatten. Es war nicht leicht; sie war deshalb kaum zu Hause und bekam wenig vom Leben ihrer Söhne mit. Ramone und Regina waren genauso wenig wie andere Eltern gegen Fehler gefeit und fühlten sich auch verpflichtet, ihren Kindern solche Dinge zu bieten. Sie wussten im Grunde, dass es falsch war, taten es aber trotzdem.
Ihre Mutter war also die meiste Zeit abwesend, der Vater trat gar nicht in Erscheinung, und so kamen die Spriggs-Zwillinge auf dumme Gedanken. Was sie anstellten, war nichts anderes und nichts Ernsthafteres als kleinere Diebstähle und Fälle von Vandalismus, wie sie auch Ramone selbst und seine Freunde in ihrem Alter begangen hatten. Die beiden waren zwei ganz normale Jungs, die ihr Adrenalin auf die falsche Art abbauten.
Da die Spriggs-Zwillinge viel Zeit auf der Straße verbrachten, bekamen sie einiges mit. Als einmal Diegos Fahrrad gestohlen wurde, hatte sich Ramone an Ronald und Richard gewandt, die es kommentarlos am selben Abend zurückbrachten. Ramone hatte sie nicht gefragt, wie sie das Fahrrad wiederbeschafft hatten, und er hatte auch nicht vergessen, was sie getan hatten. Als Richard und Ronald im vergangenen Winter auf die Wache vom 4D gebracht wurden, weil sie Gegenstände von den Veranden in der Nachbarschaft entwendet hatten, war Ramone mit ihrer Mutter hingegangen und hatte erreicht, dass die Vorwürfe nicht weiterverfolgt und die beiden Jungs wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.
Er machte sich Sorgen um sie, aber nur als passiver Beobachter, denn schließlich waren sie nicht seine Kinder. Richard fehlte es an Motivation und Orientierung, er würde mit den Jahren tiefer abrutschen. Es wäre eine Schande, wenn Ronald, der etwas Besonderes aus seinem Leben machen könnte, seinem Bruder aus Loyalität folgen würde.
»Also, nun zu Asa«, begann Ramone.
»Wir wissen nichts über Asa«, beteuerte Ronald. »Es tut uns leid, was ihm passiert ist und so, aber wissen Sie …«
»Ihr habt doch viel zusammen unternommen, nicht wahr?«
»In letzter Zeit nicht mehr so.«
»Warum nicht?«, fragte Ramone. »Ist zwischen euch etwas vorgefallen?«
»Eigentlich nicht«, sagte Ronald.
»Und warum habt ihr euch dann nicht mehr mit ihm getroffen?«
Ronald und Richard wechselten einen Blick.
»Warum?«, bohrte Ramone nach.
»Er hatte keine Lust mehr auf die Sachen, die wir so machen«, erklärte Ronald.
»Und das wäre? Alte Damen niederschlagen
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