Der Totenleser
älteren Ehemann zu verlassen, nicht zuletzt wegen der beiden gemeinsamen Kinder im Alter von drei und vier Jahren.
Als Walter Lohmann auf dem Handy seiner Frau die SMS mit dem Text »Es war schön mit Dir, ich vermisse Dich, Claus« las, stellte er sie nicht zur Rede, sondern tat so, als sei nichts geschehen.
Acht Tage später bat er seine Frau abends, ihm am nächsten Tag in seiner Gartenlaube in einer Berliner Laubenkolonie dabei zu helfen, das Haus winterfest zu machen. Was sie nicht wusste: In der Woche nach der besagten SMS hatte er in ebendieser Gartenlaube viel Zeit mit seinen »Vorbereitungen« für ihr bevorstehendes Treffen zugebracht.
Walter Lohmann hatte sämtliche Fenster der Laube mit schwarzer Klebefolie blickdicht gemacht. Er hatte die Wände von innen mit dicken Styroporplatten ver kleidet und die Fenster- und den Türrahmen mit Tesa Moll beklebt. Dies alles diente allerdings nicht der Wärmedämmung, sondern zur Schallisolierung – niemand außerhalb der Laube sollte die Schreie seiner Frau hören.
Die Gartenlaube verfügte neben einem normal großen Zimmer mit Kochnische über eine geräumige Kammer, in der ein schlichtes Holzbett stand. Oberhalb des Kopfendes hatte Lohmann eine drei Zentimeter dicke und ein Meter zwanzig lange Eisenstange mit Hilfe von Metallwinkeln fest in der Wand verankert. An der Eisenstange hatte er mit schweren Eisenketten Handschellen befestigt.
Als Bettina Lohmann am nächsten Morgen die gemeinsamen Kinder kurz vor neun in der Kindertagesstätte abgegeben hatte, fuhr sie wie verabredet in die Laubenkolonie.
Der erste Faustschlag traf sie völlig unvermittelt in die Mitte der Stirn, als sie ohne Argwohn die Laube betrat. Ihre Knie gaben nach, und sie stolperte rückwärts. Während sie noch taumelte, traf sie ein zweiter Schlag so heftig in den Bauch, dass sie vermutlich nicht einmal mehr schreien konnte und ohnmächtig zu Boden ging.
Als Bettina Lohmann zu sich kam, lag sie rücklings auf dem Bett der Laube. Ihre Handgelenke waren oberhalb ihres Kopfes mit Handschellen gefesselt. Ihre Fußgelenke waren mit derbem Packband zusammengeschnürt, dessen Enden wiederum mehrfach um das Fußende des Bettes geschlungen waren. Schreien konnte sie nicht, denn ihre untere Gesichtspartie war mit breitem Gewebeband umwickelt. Alles, was sie tun konnte, war, vor Angst die Augen weit aufzureißen und in das von Hass verzerrte Gesicht ihres Mannes über sich zu blicken …
Gut sieben Stunden später raste ein Pritschenwagen ungebremst in einen knapp zwei Kilometer von der Laubenkolonie entfernten Blumenverkaufsstand. Am Steuer saß Walter Lohmann. Als der Pritschenwagen mit einem berstenden Krachen in den Verkaufsstand regelrecht einschlug, befand sich in dem kleinen Geschäft nur Edda Winter, die geschiedene Exfrau von Walter Lohmann. Edda Winter hatte sich zehn Jahre zuvor von Walter Lohmann getrennt. Fast zwölf Jahre waren sie liiert gewesen, davon neun Jahre verheiratet. Nach der Scheidung nahm die 43-Jährige ihren Mädchennamen an, wie sie auch alles andere aus ihrem Leben zu verbannen versuchte, was sie zuvor mit Lohmann verbunden hatte. Genauso lange, wie sie verheiratet waren, hatte sie auch seine Gewaltexzesse ihr gegenüber ertragen müssen. Die hatten sie mehrfach fast das Leben gekostet, ehe sie schließlich den Mut und die Kraft fand, sich von ihm zu trennen.
Zum Zeitpunkt der Kollision mit dem Blumenverkaufsstand hatte Walter Lohmann bereits über eine Stunde auf den geeigneten Moment gewartet. Er saß am Steuer des Pritschenwagens, den er am Nachmittag zuvor bei einem Autoverleiher angemietet hatte. Dann war er zu einem Baumarkt gefahren, hatte 150 Kilogramm Kies gekauft, die er auf insgesamt fünf Säcke verteilte und auf die Ladefläche des Kleinlasters lud. »Um dem Wagen mehr an Gewicht zu geben«, wie er später bei der Vernehmung gegenüber den Mordermittlern sagte.
Immer wieder fuhr er von der knapp einhundert Meter entfernten Straßenecke, von wo aus er seine Exfrau in ihrem Blumenverkaufsstand beobachtete, auf das an visierte Ziel zu, bremste aber jedes Mal nach wenigen Metern wieder ab, da Fußgänger oder Radfahrer seinen Weg zu kreuzen drohten. Walter Lohmann hatte nicht vor, »Unschuldige« in seine »Angelegenheiten« hineinzuziehen, wie er später bei der Polizei zu Protokoll gab.
Der Verkaufsstand war ein hölzerner Anbau an der Seitenwand eines Mehrfamilienhauses. Durch die Kollision wurde die gesamte Holzkonstruktion an die Hauswand
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