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Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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klingen für gewöhnlich nach einigen Stunden ab und sind gänzlich verschwunden, sobald die Droge im Körper abgebaut worden ist. Eine Drogenpsychose überdauert dagegen die Rauschwirkung häufig um ein Vielfaches und hält den Betroffenen unter Umständen sein restliches Leben lang gefangen. Das Heimtückische dabei ist, dass man dafür nicht erst langsam abhängig werden muss.
    Den Ergebnissen unserer Haaranalyse nach hatte Holger Wehnert nur ein einziges Mal LSD genommen, und das sechs bis sieben Wochen vor seinem Tod; also genau zu der Zeit, als er auf dem Technokonzert aus dem Trinkhorn »seltsamen Met« getrunken hatte. Der Honigwein war deshalb seltsam , weil ihm jemand LSD bei gemischt hatte.
    Bei Holger Wehnert hatte also ein einmaliger LSD-Rausch ausgereicht, um ihn für den Rest seines – dann nur noch sehr kurzen – Lebens in einer Drogenpsychose gefangen zu halten. Die Geister, die Wehnert nach der Einnahme von LSD heimgesucht hatten, wurde er nicht mehr los. Die Visionen des Schreckens, dass Menschen ihn permanent verfolgten und ihm nach dem Leben trachteten, verschwanden nicht mehr aus seinem Kopf. Seine Halluzinationen waren zugleich so qualvoll und real, dass er schließlich den Entschluss fasste, sich das Leben zu nehmen, um so in eine Welt zu fliehen, in die ihm seine vermeintlichen Verfolger nicht folgen konnten.
    Das Schicksal von Holger Wehnert kann man nur als tragisch bezeichnen. Eine einzige Dosis LSD beendete von einem Tag auf den anderen das Leben, wie er es gekannt hatte, und verwandelte es in einen Alptraum, dem er dann eigenhändig und brutal ein Ende setzte.
    Nachdem wir durch die Haaranalyse das entscheidende Puzzleteil gefunden hatten, entstand nun ein recht klares Bild:
    Zuerst versucht der Rechtshänder Holger Wehnert mit einem Messer, das vermutlich aus der kleinen Messer tasche an seinem Gürtel stammt, sich die Pulsadern an seinem linken Handgelenk aufzuschneiden. Als das nicht gelingt, rammt er sich das Messer viermal in die Brust. Erst etwas zögerlich, was zu zwei nicht sonderlich tiefen Stichverletzungen im oberen Brustbereich führt, dann aber mit solch entschlossener Wucht, dass er Herz und Lunge durchbohrt. Dabei hält sich Wehnert bereits irgendwo in unmittelbarer Nähe des Hafengewässers auf, in dem er dann etwa zwei Wochen später entdeckt wird, vielleicht an einer Uferböschung oder sogar im Wasser stehend. Sterbend telefoniert er noch ein letztes Mal mit seinem Vater, der währenddessen im Hintergrund Geräusche von Schiffshörnern hört. Alfred Wehnert erkennt die Stimme nicht und kann nur vermuten, dass es sein Sohn ist, der wie mit vollem Mund spricht. Der Grund: Holger Wehnerts Lungen und Luftröhre sind zu diesem Zeitpunkt bereits mit Blut aus dem Lungenstich oder vielleicht auch zusätzlich mit Wasser gefüllt. Wenige Augenblicke später ist er tot.

LebensgefährlicheTrennung
    Walter Lohmann erfuhr durch eine SMS auf dem Handy seiner Frau davon, dass es einen anderen Mann in ihrem Leben gab. Zwar hatte er schon länger etwas Derartiges vermutet, aber nie einen handfesten Beweis dafür gehabt. Abgesehen von dem einen oder anderen Abend, an dem er sich ihre Abwesenheit nicht anders erklären konnte, und dem in letzter Zeit deutlich erhöhten Tacho stand ihres gemeinsamen Wagens, hatte er bis dahin keinerlei konkrete Hinweise darauf, dass seine Frau fremdging. Und so hatte seine Frau Bettina entsprechende Vorhaltungen und Fragen von ihm stets mit Leichtigkeit abwehren können.
    Deshalb hatte Walter Lohmann es sich seit einigen Wochen zur Angewohnheit gemacht, regelmäßig – und, wie er dachte, von seiner Frau unbemerkt – ihr Handy zu überprüfen und ihre SMS-Korrespondenz zu lesen. Bettina Lohmann hatte dies jedoch mitbekommen und war seitdem auf der Hut gewesen. Ihr Mann war leicht reizbar und neigte zu impulsiven Ausbrüchen, die in der Vergangenheit schon mehrmals zu Gewalttätigkeiten ihr gegenüber eskaliert waren. Deshalb sprach sie ihn auch nicht darauf an und löschte stattdessen mehrmals täglich ihren Rufnummernspeicher und die eingegangenen Kurzmitteilungen. Bis zu jenem Tag, an dem ihr Mann die SMS ihres Liebhabers las und einen teuflischen Plan schmiedete.
    Der »Andere« war vor acht Monaten in Bettinas Leben getreten. Von ihm fühlte sie sich verstanden, »wertgeschätzt«, wie sie es einer Freundin gegenüber ausdrückte. Ihre Ehe mit Walter Lohmann war schon lange am Ende, aber der 32-Jährigen fehlte der Mut, ihren fast dreißig Jahre

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