Der Totenleser
ein. Allerdings kann das Tuberkulosebakterium auch alle anderen inneren Organe befallen. Die Tuberkulose konnte mit Hilfe von Antibiotika in den letzten Jahrzehnten erfolgreich bekämpft werden, aber diese Option beginnt nun in zunehmendem Maße zu schwinden, denn die Tuberkulosebakterien werden immer resistenter gegen Antibiotika. Der Grund dafür liegt im falschen Umgang mit diesen Medikamenten, denn für alle Antibiotika gilt: Entweder man nimmt sie richtig ein oder gar nicht.
Entdeckt wurde der Tuberkuloseerreger im Jahre 1882 von dem großen Mediziner und Mikrobiologen Robert Koch, der zu dieser Zeit am Kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin arbeitete. Zur Zeit von Robert Koch war die Tuberkulose die häufigste Todesursache in Europa. Auch wenn ihre Häufigkeit in den westlichen Industrienationen in den letzten Jahren relativ stabil oder sogar rück läufig ist, ist die Tuberkulose weltweit wieder auf dem Vormarsch und stellt zurzeit die häufigste Infektionskrankheit mit Todesfolge dar. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation / WHO) sterben jedes Jahr rund zwei Millionen Menschen an Tuberkulose. Da Krankheitserreger in unserer globalisierten, von Migration und Tourismus geprägten Welt nicht zwingend auf einzelne geographische Regionen beschränkt bleiben, wird dieses alte medizinische Problem auch für uns wieder aktuell. Ein Großteil der an Tuberkulose Verstorbenen, die wir obduzieren, sind Migranten insbesondere aus osteuropäischen Ländern, Obdachlose und Alkoholiker. Die Tuberkulose ist eine typische Krankheit der sozial Benachteiligten.
Dies zeigt auch ein Fall, den wir vor nicht allzu langer Zeit in unserem Institut untersuchen mussten. Wir hatten die Obduktion bewusst zum Abschluss des Tages eingeplant, wegen der erhöhten Infektionsgefahr. Der Mann war in einer Obdachlosenunterkunft gestorben, in der das Gesundheitsamt bei mehreren Bewohnern Tuberkulose festgestellt hatte. Die Obduktion bestätigte nicht nur den Verdacht, dass auch er mit Tuberkulose infiziert war, er war auch daran gestorben.
Während Infektionskrankheiten ein reales und nicht zu unterschätzendes Risiko für Rechtsmediziner wie Pathologen darstellen, müssen wir uns vor dem oft zitierten »Leichengift« nicht fürchten. Der Grund: Es existiert gar nicht. Oder anders ausgedrückt: Es existiert nur als unkorrekte Bezeichnung.
Gemeint sind damit zwei Substanzen, die bei bakteriell bedingter Zersetzung von Eiweißverbindungen entstehen, also auch bei der Leichenfäulnis: Cadaverin (die korrekte chemische Bezeichnung ist 1,5-Diaminopentan) und Putrescin (1,4-Diaminobutan). Cadaverin (lateinisch cadaver = Leichnam, Leiche) und Putrescin (lateinisch putrescere = faulen) sind zusammen mit weiteren chemischen Verbindungen verantwortlich für den typischen Leichenfäulnisgeruch (der sich übrigens in keiner Weise von dem strengen Geruch verfaulender Tierkadaver unterscheidet). Der Begriff »Leichengift« ist umso irreführender, als beide Substanzen ungiftig und damit auch nicht gesundheitsgefährdend sind.
Übrigens: Ein anderer weitverbreiteter Irrtum ist die Annahme, Leichenfäulnis sei dasselbe wie Verwesung. In Wahrheit haben wir es mit zwei getrennten Prozessen und unterschiedlichen Verursachern zu tun:
Während die Bakterien, die unseren Darm zu Lebzeiten besiedeln, beim gesunden Menschen durch die Schleimhautbarriere des Darms und von unserem Immunsystem in Schach gehalten werden, können sich diese Bakterien nach dem Tod ungehemmt im gesamten Körper ausbreiten und vermehren. Abermillionen von Bakterien durchwandern einige Tage nach dem Ableben die verschiedenen Organe und die Blutgefäße des toten menschlichen Körpers. Diesen Vorgang nennt man Leichenfäulnis.
Im Gegensatz zur Leichenfäulnis, die von der körpereigenen Bakterienflora des Verstorbenen ausgeht, versteht man unter der Verwesung von Leichen einen Prozess, der von Bakterien verursacht wird, die von außen den Leichnam besiedeln, also zum Beispiel aus der Luft oder dem Erdboden stammen. Die Verwesung einer Leiche setzt erst im fortgeschrittenen Stadium der Leichenfäulnis ein. Das menschliche Gewebe wird trocken, hat eine leicht braune Färbung und erinnert ein wenig an vertrocknetes Moos oder Baumrinden- und Laubreste auf dem Boden eines Laubwaldes.
Die Farbe der Leichenfäulnis ist dagegen grün. Auch wenn die »Chemie des Todes« nicht völlig entschlüsselt ist, so weiß man doch, dass die Verfärbung ins Grüne dadurch
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