Der Totenleser
womöglich die Gunst des Kaisers sicherte.
»Viel Erfolg«, sagte er tonlos, und nie zuvor hatte er diese Worte so wenig ernst gemeint.
Nachdem er sich von Grauer Fuchs verabschiedet hatte, ging er auf sein Zimmer – und dachte nach.
26
Die Ankunft des Parfümeurs überraschte Ci, während er über der Herkunft der winzigen Narben im Gesicht der Leiche brütete. Trotz mehrerer Hypothesen, war er bisher zu keinem Ergebnis gelangt, darum freute er sich umso mehr, als der Mann verkündete, sie hätten Glück gehabt. Er streckte ihm lächelnd ein mit Wachs versiegeltes Flakon entgegen.
»Ihr könnt es riechen«, sagte er stolz.
Ci brach das Siegel und sog das intensive Aroma ein, das aus dem Fläschchen drang. Es war ein kräftiger Duft, dicht, aufdringlich und süß wie Marmelade, mit einer Note von Sandelholz. Die Intensität des Duftes machte ihn ganz benommen. Doch obwohl er ihm bekannt vorkam, war er nicht in der Lage, ihn zu identifizieren. Das Lächeln im Gesicht des Parfümeurs erstarb.
»Ihr erkennt es nicht?«
»Sollte ich denn?«, fragte Ci verwundert.
»Ich denke schon. Es ist Jade-Essenz, der Duft, den ich seit Jahren für den Kaiser herstelle.«
Ci runzelte die Stirn. Er wusste nicht, was diese Eröffnung zu bedeuten hatte, also erklärte er dem Parfümeur, dass er erst seit wenigen Tagen im Palast war und sich bisher ausschließlich zwischen Akten und Leichen aufgehalten hatte.
»Und obwohl ich die Ehre hatte, den Kaiser kennenzulernen, versichere ich Euch, dass die Umstände dieses Treffens nicht gerade die Konzentration auf sein Parfüm befördert haben.«
»Oh nein, diese Essenz ist nicht für ihn«, korrigierte der Parfümeur und berichtete, dass er seit Jahren mit geheimen Zutaten und in immer gleichen Proportionen diesen Duft herstellte, dessen Gebrauch jeder Person außer den Ehefrauen und Konkubinen des Kaisers strengstens untersagt war.
»Und natürlich stelle ich diesen Duft exklusiv für sie her.«
Ci blieb stumm und dachte über die Enthüllung des Parfümeurs nach, der ungeduldig auf ein lobendes Wort von ihm zu warten schien. Schließlich fragte er ihn, ob die Möglichkeit bestünde, dass ihm jemand aus seiner Werkstatt etwas davon gestohlen habe.
»Das ist ganz unmöglich«, antwortete der Mann aufgebracht. »Jedes Mal, wenn eine neue Lieferung bei mir bestellt wird, kümmere ich mich persönlich darum, den Duft herzustellen, abzufüllen, zu nummerieren und in den Palast zu bringen.«
»Und wenn jemand den Duft nachgemacht hätte?«
»Nachgemacht? Das ist nicht nur äußerst unwahrscheinlich, sondern es wäre auch nutzlos. Erstens, weil ich alleine die Zutaten kenne, und ich kann Euch versichern, es ist nicht leicht, sie herauszufinden. Und zweitens, weil der Fälscher, wenn man ihn entdeckte, auf der Stelle hingerichtet würde.«
»Ich verstehe. Und besteht die Möglichkeit, dass Ihr Euch irrt?«
»Was wollt Ihr damit andeuten?« Der Parfümeur warf Ci einen beleidigten Blick zu.
»Ich möchte wissen, ob Ihr Euch Eurer Entdeckung absolut sicher seid … Schließlich waren nur minimale Reste des Parfüms vorhanden, und die waren verunreinigt mit dem Fäulnisgeruch.«
»Wenn Ihr von klein auf in diesem Gewerbe gearbeitet hättet wie ich, würdet Ihr verstehen, wovon ich spreche«, sagte der Parfümeur bestimmt. »Ich würde mein Parfüm auch dann erkennen, wenn daneben eine ganze Horde stinkender Elefanten kampierte … Allerdings habt Ihr insofern recht, als dass noch etwas anderes dabei war … Ein seltsamer Geruch. Beißend. Nur ein Hauch, aber er war da.«
»Ein anderes Parfüm?«
»Nein, das war kein Parfüm. Und auch nicht der Geruch der Verwesung. Ich weiß nicht, was es ist. Ich habe versucht, es herauszufinden, doch es ist mir nicht gelungen.«
Ci machte sich eine Notiz. Dann fiel ihm noch eine letzte Frage ein.
»Was dieses Parfüm betrifft, das Ihr herstellt, die Jade-Essenz … Wer im Palast ist der Verantwortliche, der die Lieferung entgegennimmt?«
»Nicht der, sondern die Verantwortliche.« Der Mann betrachtete verlegen seine Fingerspitzen. »Eine Nüshi . Diejenige, die die Treffen des Kaisers mit seinen Konkubinen organisiert. Üblicherweise beliefere ich sie zu jedem ersten Mond mit Parfüm. Um die dreißig Flakons wie dieses hier, je nach Bestellung. Ihr müsst bedenken, dass außer der Nüshi um die tausend Konkubinen im Harem leben. Sie ist diejenige, die die Fläschchen verwaltet, und ich versichere Euch, sie hütet sie so gut wie die Kinder,
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