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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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führen!«
    Feng sah Ci erstaunt an.
    »Das Pulver! Der Schlüssel liegt im Pulver!«, rief Ci.
    Feng erstarrte.
    »Das Pulver?«, fragte er. »Was hat ein Produkt damit zu tun, das ausschließlich zur Feier des Jahreswechsels verwendet wird?«
    »Wie konnte ich nur so dumm sein! Wie konnte ich so blind sein!«, verfluchte sich Ci. »Während meiner Zeit in der Akademie hatte ich Gelegenheit, eine gewisse Abhandlung mit dem Titel Ujingzongyao zu konsultieren, das einzige Kompendium über militärische Techniken, das es gibt«, erklärte er. »Ming empfahl es mir, damit ich die schrecklichen Wunden kennenlernte, mit denen die Soldaten in einem bewaffneten Konflikt zu kämpfen haben. Kennt Ihr es?«
    »Nein. Ich habe nie etwas davon gehört.«
    »In der Tat hat Ming selbst mir von seiner Seltenheit berichtet. Er sagte, dass es sich um eine Auftragsarbeit für den Kaiser Renzong der alten Song-Dynastie aus dem Norden handelte, die die Studenten Zeng Gongliang und Ding Du ausführten. Die Kopie, die die Akademie besitzt, ist eine der wenigen, die den militärischen Bereich verließen, für den sie gedacht waren. Und mehr noch: Ming sagte mir, dass die Verbreitung des Werkes vom jetzigen Kaiser verboten worden sei, wegen seines heiklen Inhalts.«
    »Und welchen Bezug sollte diese Abhandlung zu den Morden haben?«
    »Vielleicht gar keinen … Allerdings beschäftigten die Autoren sich in einem Kapitel mit der Verwendung des Schwarzpulvers für militärische Zwecke.«
    »Meinst du Raketen?«, fragte Feng.
    »Nicht ganz. Diese Raketen sind letztlich ja nicht mehr als angetriebene Pfeile, was zwar ihre Reichweite vergrößert, doch gleichzeitig die Präzision einschränkt. Nein. Ich meine eine viel grausamere Waffe. Eine tödliche Waffe.« Ci kniff die Augen zusammen. »Die Kanoniere des Kaisers Renzong fanden eine Art, das explosive Potential des Pulvers zu nutzen, indem sie die alten Bambuskanonen durch Kanonen aus Bronze ersetzten und die mit Schrot und Exkrementen gefüllten Lederprojektile durch festen Stein, so dass sie in der Lage waren, die stabilsten Mauern einzureißen. Dazu entdeckten seine taoistischen Alchemisten, dass man, wenn man den Nitratanteil erhöhte, eine viel kräftigere und wirkungsvollere Explosion erzeugen konnte.«
    »Schön. Aber ich verstehe nicht …«
    »Wenn ich doch das Buch hätte, dann könnte ich es genauer erklären«, klagte Ci. »Ich erinnere mich, dass dort von drei Arten Pulver die Rede war, die, je nach Gerät, eingesetzt werden sollten: das brandstiftende, das explosive und das antreibende Pulver. Sie unterscheiden sich voneinander durch den Anteil an Sulfit, Kohle und Salpeter.«
    »Ich sehe die Verbindung zwischen dem Pulver und den Morden noch nicht.«
    »Versteht Ihr nicht? Dieses Zepter ist kein Zepter. Es ist eine furchtbare Waffe! Eine Kanone, die man in der Hand tragen kann!«
    »Ein Zepter? Eine Kanone?«, wunderte sich Feng.
    »In der Werkstatt des Bronzefabrikanten habe ich eine seltsame Gussform aus Terrakotta gefunden. Es ist mir gelungen,sie wieder zusammenzusetzen und einen Abguss damit zu machen, den ich zunächst für den Regierungsstab eines anspruchsvollen Regenten hielt.« Ci hielt einen Moment inne, bevor er weitersprach. »Aber jetzt passt alles zusammen. Die ungewöhnlichen Wunden, die wir an den Leichen gesehen haben … Diese seltsamen kreisförmigen Krater wurden von einem Projektil verursacht, das aus dieser Handkanone abgeschossen wurde. Ein tödlicher Apparat. Eine Waffe, wie es sie bisher nicht gab, die sich unter der Kleidung verstecken lässt und mit der man aus der Distanz töten kann.«
    Feng ließ sich allmählich von Cis Aufregung anstecken. »Junge, du bist ein schlauer Kopf !«, rief er. »Das würde vieles erklären. Wo ist diese Form? Wenn wir sie in der Verhandlung präsentieren könnten …«
    »Ich habe sie nicht mehr«, unterbrach ihn Ci düster. »Ich hatte sie in meinem Zimmer, aber jemand hat sie gestohlen.«
    »Hier? In meinem Haus?«, fragte Feng.
    Ci nickte. Feng runzelte die Stirn.
    »Zum Glück habe ich aber noch einen Abguss.«
    »Und wo befindet sich der?«
    »In der Akademie. Ein Diener Mings verwahrt ihn, sein Name ist Sui.« Ci nahm den Schlüssel von seinem Hals und gab ihn Feng. »Ich werde Euch eine Notiz schreiben, damit er ihn Euch aushändigt.«
    Feng nickte. Er wollte, während Ci die Nachricht verfasste, in den Kaiserlichen Palast hinüberlaufen, um nach dem neuesten Stand zu fragen. Dann würde er zurückkommen und

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