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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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weiß, dass …«
    »Still! Man könnte uns hören.«
    »Fragt Feng«, flüsterte Ci Bo ins Ohr. »Er wird Euch bestätigen, dass ich es nicht gewesen bin.«
    »Du hast mit Richter Feng gesprochen?« Bos Miene veränderte sich. »Was hast du ihm erzählt?«
    »Die Wahrheit! Dass Kan betäubt und ermordet worden ist.« Ci stöhnte verzweifelt.
    »Und sonst nichts? Von dem Vorfall im Lagerraum hast du nichts erzählt?«
    »Von dem Lagerraum? Ich verstehe nicht. Was hat der Lagerraum damit zu tun?«
    »Antworte! Hast du ihm davon erzählt oder nicht?«
    »Ja. Nein! Ich weiß es nicht mehr, zum Henker!«
    »Verflucht, Ci, so kann ich dir nicht helfen. Du musst mir alles erzählen, was du herausgefunden hast!«
    »Aber ich habe schon alles gesagt, was ich weiß.«
    »Bei allen Göttern, lass die Dummheiten!« Bo schleuderte das Glas zu Boden, das in tausend Scherben zersprang. Er biss sich auf die Lippen und schwieg einen Moment. Dann sah er Ci an. »Hör zu, Ci. Ich muss wissen, ob du etwas damit zu tun hattest. Sag mir …«
    »Aber was soll ich Euch denn sagen?«, rief Ci. »Soll ich gestehen, dass ich ihn ermordet habe? Bei den Geistern meiner Vorfahren! Diese Schergen werden mich in Stücke reißen, ob ich es getan habe oder nicht.«
    »Wie du willst. Wache!«, rief Bo.
    Sofort tauchten zwei Wachmänner auf und ließen Bo hinaus.
    Ci blieb zusammengekauert in einer schimmeligen Ecke sitzen wie ein geprügelter Hund.
    Er musste eingeschlafen sein. Als er zu sich kam, bemerkte er sofort, dass man ihm sein Hemd gestohlen hatte. Er sah sich um, doch er konnte es an keiner der zerlumpten Gestalten entdecken. Er bemühte sich nicht, es zu suchen.Vielleicht brauchte jemand anderes es dringender als er, doch er rückte verschämt in den Schatten, um die Narben zu verstecken, die seinen Körper überzogen. Nach einer Weile kam einer der Gefangenen zu ihm herüber und bot ihm eine Decke an, die Ci dankend annahm. Er wollte sich gerade zudecken, als er sah, dass der Körper des Alten, der sie ihm angeboten hatte, von der Krätze zerfressen war. Augenblicklich reichte er ihm die Decke zurück. Als der Alte näher kam, erkannte Ci in seinem Gesicht Narben, die ihm bekannt vorkamen. Er beugte sich vor, um seinen Eindruck zu überprüfen, doch der Alte zog sich erschrocken zurück. Ci beruhigte ihn. Er sagte, dass er nur seine Narben sehen wollte, und er zeigte ihm im Gegenzug seine eigenen. Als der Alte einwilligte, konnte Ci nicht fassen, was er sah: dieselbe Form, dieselbe Größe … Sie waren identisch mit den Narben des Leichnams, dessen Porträt er hatte anfertigen lassen. Er fragte den Alten, wie er sie sich zugezogen hätte, und als er nicht antwortete, zog er seine Schuhe aus und bot sie dem Mann an. Eilig streckte der Alte seine zitternden Hände aus und entriss ihm die Schuhe, als fürchtete er, Ci könnte ihn hereinlegen.
    »Es passierte in der Neujahrsnacht«, krächzte er schließlich. »Ich hatte mich in ein Haus reicher Leute geschlichen, um Essen zu stehlen. Ich leuchtete zwischen den Kisten umher, und plötzlich explodierte etwas.«
    »Etwas explodierte? Das verstehe ich nicht.«
    Der Alte musterte ihn von oben bis unten.
    »Deine Hose.«
    »Wie bitte?«
    »Deine Hose, los!« Der Alte deutete darauf, bis Ci sie langsam auszog. Der Mann griff danach, während Ci noch mit den Füßen darin stand, und entriss sie ihm. Jetzt stand Ci nackt da.
    »Sie hatten Feuerwerk für das Fest gelagert«, sagte der Mann, während er sich die Hose anzog. »Diese Dummköpfe bewahrten sie zusammen mit dem Zünder auf. Ich hielt meine Öllampe daran, und alles flog in die Luft. Beinahe wäre ich blind geworden!«
    Ci schaute ihn verblüfft an. Das war es also! Er wollte den Mann gerade fragen, ob er noch jemanden mit diesen Narben kenne, als er einen der beiden Wächter näher kommen sah. Sofort wich der Alte vor ihm zurück wie vor einem Pestkranken. Ci kauerte sich zusammen.
    »Aufstehen!«, befahlen sie ihm.
    Als sie bemerkten, dass er nackt war, deutete eine der Wachen mit seinem Stock auf die Decke am Boden.
    »Häng dir das um und folge uns.«
    Ci konnte sich kaum auf den Beinen halten, während er ihnen hinkend durch einen Korridor folgte, der so finster war wie der Gang einer Mine. Sie gelangten zu einer rostbefleckten Holztür, eine der Wachen klopfte mit der Faust dagegen. Quietschend öffnete sich die Tür von außen, und in den Gang fiel eine Flut gleißenden Lichts, die ihn blind machte. Als seine Augen sich an die

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