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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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insWasser stoßen, und zwar mit einer Stange zwischen deinen Hinterbacken!«
    Blitzschnell griff Wang nach einer Bambusstange und holte zu einem seitlichen Hieb aus, der die Prostituierte am Kopf traf. Vor Schreck ließ sie Mei Mei los, erwischte sie jedoch am Bein, als die Kleine zu ihrem großen Bruder flüchten wollte, und warf sie ins Wasser. Ci wurde vor Entsetzen blass. Mei Mei konnte nicht schwimmen, sie würde untergehen wie ein Stein. Er holte tief Luft und sprang ohne zu zögern hinterher. Er tauchte in dem trüben Wasser, bis ihm die Lunge zu platzen drohte – ohne jedoch einen Zipfel seiner Schwester zu entdecken. Verzweifelt kam er wieder an die Wasseroberfläche und schnappte nach Luft. Er spuckte Wasser und rief ihren Namen. Nichts. Doch plötzlich sah er, wie sie ein paar Körperlängen entfernt an die Oberfläche kam und gleich wieder unter eine der Schaluppen sank. Panisch schwamm Ci zu der Stelle hinüber, die Angst um seine kleine Schwester ließ ihn sein Ziel in Rekordgeschwindigkeit erreichen.
    Mei Mei trieb bewusstlos unter der Wasseroberfläche, ihre Kleider hatten sich am Rumpf des Bootes verhakt. Blasen stiegen aus ihrer Nase auf. Verzweifelt riss Ci ihr die Bluse vom Leib und brachte sie an die Oberfläche. Das Mädchen atmete nicht. Er schüttelte sie, während er ihren Namen rief.
    »Bitte, stirb nicht. Du darfst nicht sterben!«
    Er spürte eine Stange an seinem Rücken. Es war Wang, der ihm an Bord helfen wollte. Ci ergriff mit der einen Hand die Stange, und mit seinem freien Arm schob er Mei Mei hinauf zu Wang. Der Bootsführer nahm die Kleine entgegen, hielt sie kopfüber an den Beinen und schüttelte sie.
    »Diese verdammte Hure … Bring mir eine Decke!«
    Wang schüttelte das Mädchen weiter, drückte immer wieder auf ihren Rücken, setzte sie auf und legte sie nieder, tätschelte ihre Wangen und wischte ihr Gesicht trocken. Ci versuchte zu helfen, doch Wang schob ihn fort. Plötzlich hustete Mei Mei einmal, und noch einmal, bis sie sich schließlich erbrach. Dann weinte sie bitterlich. Als Ci sie in die Arme schloss, konnte er nicht anders, als es ihr gleichzutun.
    Wang räusperte sich und berichtete, dass Pfirsichblüte geflohen sei. Sie hatte die Verwirrung der Situation genutzt, um die Schaluppe loszumachen und an der Mole an Land zu gehen.
    »Ich weiß nicht, was dieses Weibsstück heute Nacht mit dir angestellt hat«, fluchte Wang. »Ihre Dienste hat sie sich jedenfalls teuer bezahlen lassen.«
    »Und was ist mit ihm passiert?«, fragte Ci und deutete auf Ze. Der Bootsmann lag auf den Planken und wand sich vor Schmerz. Wang seufzte. »Als er versucht hat, sie aufzuhalten, ist er mit dem Bein im Anker hängengeblieben«. Er riss einen Streifen Stoff von einem Tuch und reichte es Ze. »Los, verbinde dir die Wunde, sonst verteilst du dein Blut noch über mein ganzes Boot. Und du, Ci, zieh dich um, bevor die Feuchtigkeit dir in die Lungen kriecht.«
    »Kein Problem, es geht mir gut«, log Ci.
    Er wechselte die Hose, das Hemd jedoch behielt er an, aus Sorge, Wang könnte seine Verbrennungen sehen. Er dachte an Kirschblüte und an Pfirsichblüte. Nie wieder wollte er einer Frau vertrauen.
    »Hast du gehört, Ci? Zieh dir ein anderes Hemd an!«, rief Wang.
    Ci widersprach nicht, zog sich jedoch auch nicht um. Während sie weiter flussabwärts fuhren, dachte er erschöpft über die Zukunft nach. Mei Mei und er waren in das giftigeWasser gefallen. Was, wenn einer von ihnen starb? Er betete still, dass die Götter sie vor der Krankheit beschützten.
    Plötzlich riss ein gellender Schrei Ci aus seinen Grübeleien. Als er sich umdrehte, sah er Ze wimmernd auf dem Boden liegen. Hatte er bis gerade eben nicht noch kräftig gerudert? Bei dem Versuch, einen Packen zur Seite zu heben, musste er gestolpert und hingefallen sein. Ci tat einen Satz, um Ze aufzuhelfen. Erschrocken wurde er gewahr, wie schwer der Bootsmann sich tatsächlich verletzt hatte, als er sich Pfirsichblüte in den Weg stellen wollte. Offenbar hatte der Bootsmann seine Schmerzen verschwiegen, um niemandem zur Last zu fallen. Die Binde hatte den Schnitt nicht geschlossen, sondern nur dazu gedient, ihn zu verstecken. Nachdem Ci den Verband vollständig abgewickelt hatte, wurde die tiefe Wunde sichtbar, die vom Knie bis etwa zum Knöchel reichte und dort Teile des Knochens offenlegte.
    »Ich werde weiterrudern, Herr«, entschuldigte sich Ze.
    Wang schüttelte den Kopf und protestierte, während er sich mit zusammengebissenen

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