Der Totenleser
etwas einfallen lassen.
Im nächsten Augenblick krümmte er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht. Überrascht versuchte Wang ihn aufzufangen, doch plötzlich wurde Ci von Husten geschüttelt, er riss die Augen weit auf, schlug sich auf die Brust und spuckte eine Pfütze Blut. Dann streckte er eine Hand nach dem Beamten aus, der wie vom Donner gerührt das Blut anstarrte, das Ci aus dem Mund lief.
»Das Wasser … Bitte, helft mir …« Ci kroch näher.
Schockiert wich der Fahnder zurück. Ci hatte ihn beinahe erreicht, als er strauchelte, das Gleichgewicht verlor und hart auf dem Boden aufschlug, wobei er einen Sack Reis auf dem Deck verschüttete. Wang eilte zu ihm, drehte ihn auf den Rücken und sah in das angstvoll verzerrte, mit Blut, Reis und Speichel verschmierte Gesicht Cis.
»Die Krankheit des giftigen Wassers!«, rief Wang entsetzt.
»Das … giftige Wasser …!«, stammelte Kao und wurde kreidebleich. Er tat einige Schritte rückwärts, bis seine Absätze an die Bordwand des Kahns stießen. Ohne den Kopf zu wenden, sprang er mit einem Satz hinüber auf den Frachtkahn und befahl seinem Gehilfen, sich zu entfernen.
»Ich habe gesagt, du sollst rudern!«, schrie er wie ein Verrückter.
Der Gehilfe begann zu rudern, als hinge sein Leben davon ab. Schnell entfernte sich das Boot flussabwärts, bis es sich in der Ferne verlor.
Wang schüttelte verständnislos den Kopf und schien sichzu fragen, was eigentlich geschehen war, als Ci sich plötzlich völlig unversehrt erhob.
»Aber … wie hast du das gemacht?«, stotterte der alte Bootsführer. Der Junge schien so gesund wie ein frisch aufgeschnittener Apfel.
»Ach, das?« Ci zog die Handschuhe aus und spuckte einen Rest Blut aus. »Na ja, angenehm war es nicht, als ich mir auf die Wangen gebissen habe, aber bei dem Gesicht, das der Kerl gemacht hat, hat sich das Theater gelohnt!«
»Du kleiner Schurke!«
Sie lachten, selbst Ze vergaß für einen Moment sein schmerzendes Bein.Wang warf einen Blick auf den winzigen Punkt in der Ferne, zu dem das Boot des Gerichtsdieners zusammengeschmolzen war, dann drehte er sich mit verändertem Gesichtsausdruck um zu Ci.
»Sie fahren sicher nach Lin’an. Ich weiß nicht, was du getan hast, und ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht, aber lass dir gesagt sein:Wenn wir an Land gehen, solltest du deine Augen weit aufmachen, auch die Hühneraugen! Dieser Kao hat den Blick eines Jagdhundes. Er hat dein Blut gerochen, und er wird nicht eher ruhen, als bis er es gekostet hat.«
DRITTER TEIL
11
Seit Monaten hatte Ci davon geträumt, nach Lin’an zurückzukehren, doch als er die Hauptstadt mit den Bergen im Hintergrund erblickte, fühlte sein Magen sich an wie ein zusammengepresster Blasebalg. Er half Wang, das Tau des Schiffes loszubinden, das sie von Fuzhou die Küste herauf geschleppt hatte.
In Lin’an erwartete ihn das Leben.
Schwerfällig drang der Kahn durch den Dunst in das Totenbett des Zhe vor, in die riesige Mündung, wo die verseuchten Wassermassen des großen Flusses zum Stillstand kamen, den Unrat des Westsees aufnahmen und mit ihrem unerträglichen Gestank vom Reichtum und Elend dieser Königin unter den Städten kündeten. Vor ihnen lag Lin’an, das einstige Hangzhou, Metropole der zentralen Präfektur und Mittelpunkt der Welt.
Eine zaghafte Sonne beschien Hunderte von Barkassen, die auf dem Wasser schaukelten. Unzählige Sampans und Dschunken reckten ihre starren Segel in den Wind, um den mächtigen Handelsschiffen, den schweren Lastkähnen und den schwimmenden Häusern auszuweichen.
Stück für Stück lenkte Wang seinen Kahn durch das Gewimmel auf dem Fluss, bis auch er die Geduld verlor und um die Vorfahrt stritt wie ein Hund um einen Knochen. Es herrschte ein irrsinniges Chaos, Warnrufe und wüste Beleidigungen gingen von einem zum anderen Boot, Schiffsrümpfe stießen aneinander. Ci bemühte sich, Wangs Befehle rasch auszuführen, denn der alte Bootsführer war so erregt, dass er ihn sonst sicher ohne Zögern über Bord geworfen hätte.
»Verdammt noch mal! Wo hast du nur rudern gelernt?«,brüllte Wang zu Ci hinüber. »Und du, was gibt es da zu lachen?«, fauchte er seinen verletzten Gehilfen an. »Mir ist egal, wie es deinem Bein geht. Hör auf, an die Huren zu denken, und reiß dich am Riemen. Wir legen weiter vorn an, nicht bei den Lagerhäusern.«
Ze gehorchte widerstrebend, während Ci gar keine Antwort gab. Er war vollauf damit beschäftigt, die Ruderstange ordentlich
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