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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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Enkel behandelt, doch jetzt öffnete seine zweite Ehefrau die Tür, eine hochmütige und unfreundliche Person. Als sie Ci und seine Schwester erkannte, verzog sich ihr Gesicht.
    »Was sucht ihr hier? Wollt ihr uns ruinieren?«
    Ci brachte kein Wort heraus. Sie hatten sich lange nicht gesehen, doch die Frau wirkte nicht überrascht, sie schien ihren Besuch erwartet zu haben. Bevor sie ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen konnte, fragte Ci nach GroßvaterYin.
    »Er ist nicht da«, gab sie abweisend zurück. »Und er wird auch nicht mit euch reden«, fügte sie hinzu.
    »Bitte. Meine Schwester ist sehr krank …«
    Skeptisch musterte die Frau Mei Mei.
    »Ein Grund mehr für euch, zu verschwinden.«
    »Wer ist dort?«, ließ sich die Stimme von GroßvaterYin im Hintergrund vernehmen.
    »Ein Bettler. Er geht gerade.« Die Tür hinter sich zuziehend,trat sie entschlossen in den Garten hinaus, packte das Mädchen am Arm und zerrte es zur Straße, Ci blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. »Und jetzt hört mir zu«, sagte sie. »Dies ist ein anständiges Haus, verstanden? Wir brauchen hier keine Diebe, die unseren guten Namen beschmutzen.«
    »Aber …«
    »Und tu bitte nicht so unschuldig!« Sie biss sich auf die Lippen, bevor sie fortfuhr: »Heute Morgen ist ein Ermittler mit einem riesigen Köter durch das Viertel gezogen. Sie haben im ganzen Haus herumgeschnüffelt. So eine Schande! Er hat uns erzählt, was du in deinem Dorf getan hast. Alles hat er uns erzählt … Und er sagte, du würdest bestimmt hier auftauchen. Pass auf, Ci, ich weiß zwar nicht, warum du mit diesem Geld abgehauen bist, aber ich schwöre dir, wenn wir deinen Vater nicht so geachtet hätten, würde ich dich auf der Stelle zur Präfektur bringen und anzeigen.« Sie ließ Mei Meis Arm los und stieß die Kleine von sich. »Wage es also nicht, wieder herzukommen, denn wenn ich dich noch einmal auch nur einen Li von unserem Haus entfernt erwische, werde ich jeden Gong der Stadt Alarm schlagen lassen, und es wird keinen Ort in Lin’an mehr geben, wo du dich verstecken kannst.«
    Ci nahm seine Schwester an die Hand und trat taumelnd den Rückzug an. Es gab keinen Zweifel: Der Hüter der Weisheit musste die Drohung, ihn in den Mord an Shang zu verwickeln, wahr gemacht haben, oder aber der Reisbaron hatte ihn wegen des Raubes jener dreihunderttausend Qian angezeigt, die der hohe Würdenträger selbst eingesteckt hatte. Und der Fahnder Kao, dem er auf dem Fluss begegnet war, führte die Befehle dieser Schurken aus.
    Ci vermutete, dass der Ermittler auch die übrigen Nachbarn informiert hatte, und so machten sie sich vorsichtshalberwieder auf den Weg in Richtung Stadtmauer. Sie mussten wohl oder übel versuchen, in einer der Herbergen in Hafennähe unterzukommen. Er hatte diese Gegend der Stadt meiden wollen, aber zumindest waren die Zimmer dort billig, und niemand würde sie dort suchen.
    Es war bereits stockdunkel, als er vor einem halb verfallenen Gebäude stand, das mit seinen preiswerten Quartieren warb. Die schiefen Wände der Pension schlossen an ein Restaurant an, aus dem abscheuliche Gerüche drangen. Ci schob den Eingangsvorhang aus einer zerschlissenen Decke beiseite und näherte sich dem Angestellten, einem grobschlächtigen Kerl, der in Alkoholdunst gehüllt vor sich hin döste. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, streckte der Mann die Hand aus und verlangte fünfzig Qian Vorauszahlung. Das war alles, was sie hatten. Ci versuchte, einen Rabatt auszuhandeln, doch der Betrunkene spuckte bloß gleichgültig auf den Boden. Während Ci seine Münzen abzählte, hustete Mei Mei wieder. Verzweifelt sah er zu seiner kleinen Schwester. Wenn er die Summe akzeptierte, konnte er ihre Medizin nicht mehr kaufen. Es gab nur eine Lösung: Er musste auf dem schnellsten Weg eine Arbeit finden.
    Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie ihre Fäkalien aus dem Fenster schütten durften, bezahlte er das Zimmer und erkundigte sich, ob es über eine Tür verfüge.
    »Denkst du, die Leute, die hier absteigen, besitzen etwas so Wertvolles, dass sie eine Tür brauchen? Das Zimmer ganz hinten, dritter Stock. Ach, und noch eins, Junge …« Ci blieb stehen, und der Mann grinste feist: »Mir ist es schnuppe, ob du die Kleine da vögelst, aber wenn sie stirbt, dann sieh zu, dass du mit ihr verschwindest, bevor ich etwas davon mitkriege. Ich will keinen Ärger mit dem Gesetz.«
    Das wollte Ci ebenso wenig, und so machte er sich nichtdie Mühe, zu antworten. Er

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