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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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Spielbrett zu. Er wollte es anheben, doch der Junge hinderte ihn daran.
    »Wenn du das anfasst, sage ich es ihm.«
    »Ich will es bloß umdrehen«, sagte Ci.
    »Du hast gesagt, nur gucken.«
    »Beim Erleuchteten! Iss den Apfel und halt die Klappe«, rief er.
    Ci nahm das Spielbrett und untersuchte es gründlich. Er betätigte die Türchen, roch an den Bahnen und prüfte den Unterbau, aus dem er ein Metallteil von der Größe eines Kekses zog und in seinem Ärmel verschwinden ließ. Dann stellte er das Brett wieder an seinen Platz, verabschiedete sich von dem Jungen und ging mit dem Entschluss, sein Geld zurückzuholen, in die Kneipe Zu den fünf Geschmäckern .
    * * *
    Es war nicht schwer, den Wahrsager zu finden, er brauchte nur den beiden Prostituierten zu lauschen, die aufgeregt tuschelten, wie sie den Alten im Eselsfell, der hinter den Vorhängen seinen Gewinn verprasste, am besten ausnehmen könnten.
    Während er über seine Strategie nachdachte, sah Ci sich um. Kneipen wie diese gab es unzählige im Hafen: ein vom Bratfett vernebeltes Loch, in dem erschöpfte Kellner hin und her eilten. Der Geruch nach gegarten Hühnchen und Garnelen wetteiferte mit dem Schweißgestank der Fischer, Stauer und Matrosen, die, von Flöten und Zithern begleitet, den Feierabend mit Gesang und Alkohol feierten, als wäre es derletzte Tag ihres Lebens. Auf einer improvisierten Bühne hinter der Theke wiegten einige Blumen ihre Hüften, summten Melodien, die vom Lärm übertönt wurden, und hielten mit lüsternen Blicken Ausschau nach den nächsten Kunden. Eine der Blumen , klein und rundlich wie eine Pflaume, näherte sich Ci, ohne dass ihr sein Aussehen und seine Bisswunde etwas auszumachen schienen, und drückte sich mit ihrem weichen Hintern an ihn. Ci schob sie weg. Über den mit einer klebrigen Fettschicht bedeckten Boden marschierte er geradewegs auf die mit plumpen Landschaftsansichten verzierten Vorhänge zu, hinter denen sich der Wahrsager amüsierte. Entschlossen teilte er den Vorhang und durfte im nächsten Augenblick zusehen, wie der weiße Arsch des Männleins über einem jungen Mädchen auf und ab schaukelte. Ci räusperte sich. Der Wahrsager sah verdutzt auf, schien sich aber nicht gestört zu fühlen. Zufrieden grunzend schaukelte er weiter. Offenbar hatte der Schnaps bereits seinen Verstand getrübt.
    »Du lässt es dir mit meinem Geld gutgehen, wie?« Ci stieß ihn zur Seite. Sofort floh das Mädchen ängstlich in Richtung Küche.
    »Aber was zum Henker …?«, rief der Gaukler ungläubig.
    Bevor er sich aufrichten und empören konnte, nahm Ci ihn am Kragen.
    »Du wirst mir alles wiedergeben, noch die letzte Münze. Und zwar sofort!«
    Gerade wollte Ci nach dem Gürtel des Wahrsagers greifen, da packte ihn jemand von hinten und wirbelte ihn durch die Luft, bis er gegen ein paar Blumentöpfe in der Mitte des Gastraums krachte. Lautes Geschrei übertönte die Musik.
    »Meine Gäste werden nicht belästigt«, schnauzte ihn der Kneipenwirt an.
    Ci musterte den massigen Körper, der ihn mit derselben Leichtigkeit herumgewirbelt hatte, wie wenn jemand eine Fliege verjagt. Die Arme dieses Ungeheuers waren kräftiger als Cis Oberschenkel, und sein Blick war der eines tobenden Büffels. Bevor er antworten konnte, traf ihn ein Tritt in die Rippen. Ci fiel zu Boden und erhob sich schwankend wieder.
    »Dieser Mann ist ein Schwindler. Er hat mich um das Wettgeld betrogen«, keuchte Ci. Ein weiterer Tritt traf ihn. Er krümmte sich, obwohl er keinen Schmerz spürte. »Seid ihr denn blind? Er trickst euch aus wie Kinder.«
    »Hier gilt nur eine Regel: Wer zahlt, hat das Kommando.« Der Wirt holte abermals aus.
    »Nun lass ihn. Er ist doch bloß ein Junge«, sagte der Wahrsager und hielt den Inhaber zurück. »Los, Kleiner.Verschwinde von hier, bevor sie dir was antun.«
    »Ich gehe, wenn du mir das Geld gibst.«
    »Dir Geld geben? Red keinen Unsinn, Junge. Willst du etwa, dass der Kerl dir den Schädel einschlägt?«
    »Ich weiß, wie du es machst. Ich habe mir dein Spielbrett angesehen.«
    Der Wahrsager kniff die Augen zusammen. »Ach, wirklich? Dann setz dich her und erzähl es mir.«
    Ci holte das Metallplättchen aus der Tasche, das am Bauch der Grille geklebt hatte, schob eine Weinflasche zur Seite und legte es auf den Tisch.
    »Erkennst du das?«
    Der Wahrsager nahm das Plättchen und betrachtete es geringschätzig. Dann warf er es zurück auf den Tisch.
    »Das Einzige, was ich erkenne, ist, dass du den Verstand verloren

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