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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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der Stelle töten. Ich hätte sie verrecken lassen können, was geht mich dieses Kind an! Aber sie wollte die Kleine ja unbedingt retten. Und dann kommst du Scheißkerl und willst mich erwürgen.« Er presste den Fuß fester auf Cis Gesicht.
    »Vater, lass ihn …«, flehte eine Stimme aus dem Dunkel.
    »Und du, halt den Mund, beim Erleuchteten! Diese Dreckskerle ficken Minderjährige, lassen sie halbtot zurück, und dann wollen sie uns auch noch verprügeln.« Zu Ci gewandt fuhr er fort: »Aber weißt du was? Jetzt ist Schluss mit deinen Abenteuern. Du hast zum letzten Mal jemanden aufs Kreuz gelegt.« Er zog ein Messer hervor und hielt es Ci an den Hals.
    »Das ist … mein Bruder …«
    Mei Mei! Das dünne Stimmchen gehörte seiner Schwester, sie lebte!
    Ci wollte etwas sagen, doch dann wurde es Nacht um ihn.
    * * *
    Als er die Augen aufschlug, erkannte er im Halbdunkel die Tochter des Inhabers. Sie hatte Mei Mei noch immer im Arm und tupfte ihr mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn.
    Seine Kehle war trocken, und nur mit Mühe gelang es ihm, sich zu räuspern.
    Vom Vater der jungen Frau war nichts zu sehen.
    »Geht es ihr gut?«, erkundigte er sich krächzend nach seiner Schwester.
    Die Tochter des Gastwirts nickte.
    »Binde mich los!«
    »Mein Vater traut dir nicht.«
    »Bei allen guten Geistern! Siehst du nicht, dass meine Schwester ihre Medizin braucht?«
    Die junge Frau sah ängstlich zur Tür. Dann richtete sie ihren Blick zweifelnd auf Ci. Schließlich legte sie Mei Mei auf eine Matte und trat näher. Gerade wollte sie ihn befreien, als die Tür aufsprang und ihr Vater hereinkam, in der Hand hielt er ein Messer. Er hockte sich neben Ci, betrachtete ihn einen Moment und schüttelte den Kopf.
    »Sie ist also deine Schwester, ja? Was ist das für eine Geschichte?«
    Ci erklärte ihm, dass Mei Mei an einer Krankheit litt und er sich auf die Suche nach dem Medikament begeben hatte. Dass er sie bei seiner Rückkehr nicht gefunden und gedacht habe, man habe sie entführt, um sie zu verkaufen oder zu vergewaltigen.
    »Und deshalb bringst du mich fast um?«
    »Ich war verzweifelt … Bitte, bindet mich los. Sie muss ihre Medizin bekommen. Sie ist in meiner Tasche.«
    »Der hier?« Mit einem Ruck riss er sie ihm weg.
    »Vorsicht! Das ist alles, was ich habe.«
    Der Mann roch an dem Präparat und spuckte angeekelt aus. »Und das ganze Geld, das du bei dir hattest, wem hast du es gestohlen?«
    »Das sind meine Ersparnisse. Ich brauche jeden Qian, um meine Schwester durchzubringen.«
    Der Wirt spuckte erneut aus.
    »Mach schon, Mondlicht, binde ihn los!«
    Die junge Frau gehorchte, während ihr Vater Ci nicht aus den Augen ließ. Kaum war er frei, stürzte er zu Mei Mei hinüber, strich ihr über das Haar. Er bat um ein Schälchen mit Wasser, rührte darin das Medikament an und goss es ihr in den Mund, wobei er darauf achtete, dass sie alles bis auf den letzten Tropfen austrank.
    »Wie geht es dir, Kleine?«
    Mei Mei lächelte matt – ein Lächeln, das Ci vorerst beruhigte.
    Von dem Geld, das er ihm während seiner Ohnmacht abgenommen hatte, gab ihm der Wirt nur dreihundert Qian zurück. Den Rest, fügte er hinzu, behalte er als Entschädigung für die Sachen, die Ci in der Wohnung zerstört hatte, und als Lohn der Hilfe für Mei Mei – wozu in seinen Augen auch das kaputte Hemdchen und die zerschlissene Hose gehörten, mit denen Mondlicht die Kleine versorgt hatte, als sie sie hustend und nass vorgefunden hatte.
    Ci protestierte nicht, er hatte keine Wahl. Als eine Stimme nach dem Pensionsbesitzer verlangte, lief der Mann eilig an die Rezeption. Ci nutzte die Gelegenheit, um mit Mondlichtins Gespräch zu kommen, doch sie gab sich wortkarg. Seufzend nahm er seine Schwester auf den Arm und machte sich auf den Weg zurück in ihre Kammer. In der Türöffnung blieb er noch einmal stehen.
    »Könntest du auf sie aufpassen?«
    Die junge Frau schien ihn nicht zu verstehen.
    »Nur vormittags. Ich brauche jemanden, der sich um sie kümmert … Ich bezahle dich auch«, bettelte er.
    Mondlicht musterte ihn fragend. Dann kam sie zur Tür, um ihn zum Gehen aufzufordern.
    »Bis morgen«, rief sie ihm mit sanfter Stimme leise hinterher.
    Überrascht drehte Ci sich um. Er lächelte.
    »Bis morgen.«
    * * *
    Während er zerstreut mit den Fingern über die Wunden an seinem Bein fuhr, beobachtete Ci durch die Ritzen in der Wand das Anbrechen eines düsteren Tages. Die Kälte drang ihm in die Knochen und ließ ihn erstarren. Er rieb

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