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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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ganz Lin’an gewusst, was passiert ist, die Kunden hätten uns die Bude eingerannt, und wir hätten genug Geld verdient, um uns unseren eigenen Friedhof zu kaufen.«
    Ci konnte Xu natürlich nicht erzählen, dass er von einem Ermittlungsbeamten verfolgt wurde und dass er nichts weniger gebrauchen konnte, als dass ganz Lin’an von einem jungen Mann mit verbrannten Händen erfuhr, der auf dem Friedhof arbeitete. Sie hatten dieses nächtliche Intermezzo nur knapp überlebt, und statt ihm für seine Rettung zu danken, dachte Xu bloß daran, ihm Vorwürfe zu machen.
    Er bekam Lust, mit dem Wahrsager zu brechen. Alles hinter sich zu lassen, Mei Mei zu nehmen und irgendwohin zu fliehen. Doch die Kälte des Morgens besänftigte seine Wut und milderte seine Antwort.
    »So dankst du mir also, was ich für dich getan habe?«, erwiderte er schließlich.
    »Vorsicht, Kleiner! Maße dir kein Verdienst an, das dir nicht zusteht. Ich habe den Namen Chang genannt«, fauchte Xu. Er machte ein Gesicht wie ein Erleuchteter, der sich selbst für den Träger der absoluten Wahrheit hält.
    Ci sah ihn an wie einen Hausierer und fragte sich, ob es lohnte, mit jemandem zu streiten, dessen Denken ausschließlich vom Geld beherrscht wurde. Wahrscheinlich nicht, aber er war nicht bereit, sich unterkriegen zu lassen. Jedenfalls nicht, wenn davon die Zukunft seiner Schwester und seine eigene abhing.
    »Verstehe«, sagte er. »Vielleicht hätte ich besser zulassen sollen, dass sie dich abstechen. Oder ich hätte vor dem Toten den Mund gehalten und gewartet, bis du das Problem löst.«
    »Ich habe den Namen des Mörders genannt«, wiederholte Xu.
    »In Ordnung. Ist sowieso egal. Schließlich war es das erste und letzte Mal, dass wir über die Sache geredet haben.«
    »Ich verstehe nicht. Was meinst du?«
    »Dass ich nie wieder, und ich sage es noch einmal, nie wieder bei etwas mitmachen werde, was in den Augen jedes einigermaßen vernünftigen Menschen purer Irrsinn ist, auch wenn es für dich ein lukratives Geschäft zu sein scheint.« Abrupt blieb er stehen. »Bei allen guten Geistern! Glaubst du etwa wirklich, dass ich alles erraten kann? Verdammt! Ich bin doch nur ein armer Schlucker, der nicht mal sein Studium abgeschlossen hat, und du willst, dass ich mich vor einem Haufen tobsüchtiger Kerle, die keinen Moment gezögert hätten, uns die Kehle durchzuschneiden, wie ein Gott aufführe … Tatsächlich, so sehr ich auch versuche, dich zu verstehen, ich kann immer noch nicht begreifen, wie du auf diese Idee gekommen bist.«
    Xu holte den Beutel mit den Münzen hervor und klimperte damit vor seinem Gesicht herum.
    »Die sind aus Silber!«
    »Ich will keinen Sarg aus Silber.« Ci schob den Beutel von sich.
    »Und woraus hättest du ihn lieber, aus Hanf? Denn das ist es, was du erreichen wirst, wenn du so weitermachst. Wohin, glaubst du, wirst du ohne mich kommen? Sag es mir. Denkst du etwa, ich bin blöd? Wenn du etwas Besseres zu tun hättest oder einen Ort, wohin du gehen könntest, dann wärst du nicht hier bei mir. Also bedanke dich für das, was ich für dich mache, und lass das Getue. Hier, nimm.« Er gab ihm ein Drittel der Münzen. »Das ist mehr, als du sonst in sechs Monaten Arbeit bekommst.«
    Ci wies das Geld zurück. Er wusste nur zu gut, wohin die Gier führte. Sein Vater hatte es ihn gelehrt.
    »Verdammt noch mal, Junge! Was willst du denn? Geld verdienen ohne das geringste Risiko?«
    »Aber dieser Mann, Chang … Vielleicht …«
    »Was?«, schnaubte Xu.
    »Dieser Chang. Warum hast du ihn angeklagt? Vielleicht war er unschuldig.«
    »Unschuldig? Pah! Das soll wohl ein Witz sein. Von allen, die dort waren, ist selbst der Harmloseste fähig, seinen eigenen Sohn niederzustechen und ihn danach lebendig zu begraben. Oder wovon, glaubst du, leben sie? Was, meinst du, hätten sie mit uns gemacht? Ich kannte Chang. Alle kannten ihn. Der Kerl beneidete den Ermordeten um seinen Posten. Und du hast es ja selbst erlebt, dass er gestanden hat. Außerdem: Was bedeutet es schon, ob er unschuldig war oder nicht? Er war ein Verbrecher, ein Widerling. Früher oder später wäre er auf diese Weise geendet. Umso besser, wenn er mit seinem Tod dazu beigetragen hat, unsere Armut zu verringern.«
    »Es ist mir egal, was er war.« Ci hob die Stimme. »Du warst nicht sicher. Du hattest keine Beweise, und ohne Beweise kann man niemanden verurteilen.Vielleicht hat er gestanden,weil er gefoltert wurde. Nein, für so etwas stelle ich mich nicht noch mal zur

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