Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
Joe war froh, bei dem Spaß dabei zu sein.
Er war die Wong-Akten zum dritten Mal durchgegangen, um ganz sicherzugehen, dass er nichts übersehen hatte. Die New Yorker Kollegen waren gewissenhaft und gründlich gewesen und hatten so gut wie jeden interviewt, der in der Straße wohnte. Mehrere Zeugen hatten ausgesagt, ein dunkelblauer Ford Transit mit New-Jersey-Kennzeichen habe gegenüber dem Haus der Wongs an der Straße geparkt, und drei Zeugen hatten den gleichen Mann beschrieben, der neben dem Wagen auf dem Gehweg herumgestanden hatte: groß, dick, eine schwarze Melone auf dem Kopf. Der Transit war nicht aufgefunden worden. Die Kennzeichen hatten sie überprüft, sie waren gefälscht.
Das Bonbonpapier war auf Fingerabdrücke untersucht worden, vergeblich. Das Gleiche galt für das aus dem Haus von Lacour.
Joe legte die Akte beiseite und holte sich eine Cola aus dem Kühlschrank. Dann nahm er sich die Liste der zwischen Juni 1980 und Mai 1981 in Miami als vermisst gemeldeten Personen vor: einen zwölfseitigen Computerausdruck. Vierundsechzig Namen auf jeder Seite, 552 insgesamt.
Er ging die Liste nach Familien durch, die unter der gleichen Anschrift gemeldet waren. Nada .
Dann suchte er nach identischen Nachnamen. Eine aufwendige Angelegenheit, weil die Liste nicht alphabetisch sortiert war. Zweimal ging das Licht aus, sodass er nicht mehr wusste, wie weit er schon gekommen war, und von vorn anfangen musste.
Er ließ sich nicht beirren. Sein Hemd war nassgeschwitzt.
Als er bei der zwölften Seite angekommen war, war er sich ganz sicher, dass er etwas übersehen hatte.
Er fing noch einmal von vorn an.
Spanische Namen waren in der Mehrzahl, danach die englischen. Französische und jüdische Namen fielen besonders auf.
Keine Übereinstimmungen.
Dann nahm er sich die Anschriften vor.
Auf der neunten Seite wurde er fündig.
Madeleine Cajuste, 3121 North East 56th Stret, Lemon City; vermisst gemeldet am 30. April.
Sauveur Kenscoff, 3121 North East 56th Stret, Lemon City; vermisst gemeldet am 30. April.
Das war’s. Zwei Menschen, die im gleichen Haus gelebt hatten und kurz vor den Moyez-Morden verschwunden waren. Es war schon zu spät, um zu der Adresse zu fahren, das würde er gleich am nächsten Morgen tun.
Joe schrieb das auf die Tafel, die sie durch eine senkrechte Linie in zwei Hälften geteilt hatten: die rechte Seite für Joe, die linke für Max. Dort notierten sie alle derzeitigen und anstehenden Aufgaben und alle Spuren, auf die sie gestoßen waren, sodass der andere immer auf dem Laufenden war.
Max hatte notiert, dass er derzeit mit Ladenbesitzern und Großhändlern von Tarotkarten redete. Bisher keine Erkenntnisse. Die Familie de Villeneuve in der Schweiz hatte sich geweigert, ihnen eine Liste ihrer Kunden zukommen zu lassen, und mitgeteilt, man sei stolz auf die Diskretion des Unternehmens und betrachte die Kunden als Teil der Familie. Tolle Familie, dachte Joe, dem Max von ihrer Geschichte erzählt hatte.
Ganz unten auf die Tafel hatte Max in Blockbuchstaben »SATANISTEN/SCHWARZE MAGIE?« geschrieben.
Max hatte Bridget Reveaux in ihrem Haus in Gainesville aufgesucht und die Tarotkarte ihrer verstorbenen Schwester fotografiert. Das Foto hatte er auf A3 vergrößern lassen und an die Pinwand gehängt. Jedes einzelne Detail war zu erkennen, sogar das angebliche Satanszeichen in der unteren linken Ecke: ein umgedrehter fünfzackiger Stern, dessen obere Spitze verlängert war. Für Joe sah es eher nach einem schlecht gezeichneten Adler im Sturzflug aus.
Joe glaubte nicht an den ganzen Hokuspokus, aber die Karte war ihm unheimlich. Der König der Schwerter mochte kein Gesicht haben, aber es fühlte sich ganz und gar nicht so an. Die Karte hatte eine gewisse Präsenz – eine menschliche Präsenz, um genau zu sein. Es war, als wäre er nicht allein im Raum. Erst recht, wenn das Licht ausfiel. Am liebsten hätte er das blöde Ding umgedreht, aber das wäre nun wirklich zu peinlich. Es war ja nicht einmal eine Karte, es war nur ein Foto von einer Karte.
Ach, Scheiße! Er drehte das verdammte Ding um.
Irgendwann schloss Joe die Garage ab und ging zu seinem Wagen, der unweit des Hauses der Familie Dorsey parkte.
Als er noch klein war, war sein Großvater oft mit ihm zu diesem Haus gegangen und hatte es ihm gezeigt. Ein schönes zweistöckiges Holzhaus, mit hohen Bäumen im Garten und roten Rosenbüschen vorn. D.A. Dorsey war der erste schwarze Millionär Miamis gewesen. Er hatte sein
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