Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
Beach, die aus dem Warteraum des Herrn abberufen wurden. Aber das war das Einzige an Kathleen Reveaux’ Tod, das er in Erinnerung behalten hatte. Ihren Namen hatte er soeben zum ersten Mal gehört.
»Ich habe wenige Tage vorher noch mit ihr gesprochen«, sagte Phyllis. »Kathleen erzählte mir, dass die Karten mit ihr sprachen, dass sie sie aufforderten, sich … sich umzubringen.«
»Sie hat Stimmen gehört?«, fragte Max.
»Wie das so ist bei Psychotikern, ich weiß.«
»Was für Stimmen?«
»Genau genommen war es nur eine einzige. Die Stimme eines Mannes. Sie meinte, er habe einen französischen Akzent. Und die Stimme wurde von Tag zu Tag lauter, bis sie alles andere übertönte und Kathleen nichts anderes mehr hören konnte, so stelle ich mir das vor.«
Sie hielt inne und starrte aus dem Fenster in die Nacht hinaus.
»Wer war dieser de Villeneuve?«, fragte Max, und sie richtete ihren Blick und ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Fotos auf dem Tisch.
»Es gibt haufenweise Gerüchte und Vermutungen über ihn«, sagte Phyllis. »Fest steht, dass er im 18. Jahrhundert Maler am Hofe des französischen Königs Ludwig XVI. war. Mit seinen schmeichlerischen Porträts der Adeligen hat er gutes Geld verdient. Er war ein Liebling von Marie-Antoinette, Ludwigs Frau. Angeblich war er auch ihr Liebhaber. Aber er hatte noch eine andere Seite. Er galt als Teufelsanbeter, und zwar – im Gegensatz zu Crowley – als echter, der, so sagt man, sogar Luzifer höchstpersönlich aus der Tiefe herbeirufen konnte.
Es heißt, Luzifer habe ihm die Macht verliehen, seine äußere Erscheinung zu verändern, sodass er sein konnte, wer er wollte, Mann oder Frau. Er hatte die Fähigkeit, durch jede Wand zu gehen und jede Tür zu öffnen. Und er machte regen Gebrauch davon, um seine Position und seinen Einfluss bei Hofe zu stärken, indem er sich als Ehemann, Ehefrau oder Geliebte bestimmter Leute ausgab und so sämtliche schmutzigen kleinen Geheimnisse in seinem Reich in Erfahrung brachte, die er an Marie-Antoinette weitergab.
Aber wie alle Pakte hatte auch dieser seine Kehrseite, seinen Preis. De Villeneuve musste jeden Monat ein Menschenopfer darbringen, um seine Kräfte zu behalten: junge Frauen … genau genommen junge Mädchen, weil Satan nur Jungfrauen akzeptiert. Er hat mehrere Damen der Gesellschaft getötet, bis zu zehn oder zwölf, heißt es, bevor er gefasst wurde. Die Leichen wurden mit aufgeschlitzter Kehle und einem Brandzeichen über dem Herzen gefunden: ein langes mittelalterliches Schwert, das dem auf der Karte sehr ähnlich sah. Den Mädchen war das Herz herausgenommen worden, wobei kein Mensch weiß, wie, weil sie bis auf die aufgeschnittenen Kehlen keinerlei Wunden aufwiesen.«
»Wie wurde er gefasst?«, fragte Max.
»Nun, eines Tages beschloss der König, de Villeneuve zu Ehren seine liebsten Bilder von sich selbst und seinem Hofstaat auszustellen. Die Ausstellung fand im Grand Trianon statt, einem Nebengebäude des Schlosses von Versailles. Hunderte von Gästen waren geladen. Im größten Ballsaal des Schlosses wurde getrunken, gegessen und getanzt, und dann führte Ludwig die Gäste in die Ausstellungsräume. Sie bekamen den Schock ihres Lebens. Statt der Porträts des Monarchen und ihrer selbst hingen dort hundert oder mehr Variationen des gleichen Gemäldes: ein nacktes junges Mädchen, das mit den Füßen in einem Eimer auf einem Stuhl sitzt, die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Hinter ihr stand ein Mann in schwarzen Gewändern, ein erhobenes Schwert in der Hand. Um die beiden herum ein Kreis aus sehr großen Männern mit todesweißen Gesichtern.
Kein Mensch wusste, wie die Gemälde dahingekommen waren oder was mit den ursprünglichen Gemälden passiert war. Einer der Adligen erkannte auf einem der Bilder seine ermordete Tochter wieder, woraufhin ein anderer auf einem anderen Bild ebenfalls seine Tochter erkannte.
De Villeneuve wurde gefangen genommen und in die Bastille geworfen, doch er konnte entkommen. Das war 1785. 1789 wurde die Monarchie gestürzt, und de Villeneuve ist wieder auf der Bildfläche erschienen, allerdings in Haiti.
Haiti war damals eine französische Sklavenkolonie. Keiner weiß, wie, aber de Villeneuve war inzwischen ein wohlhabender Plantagenbesitzer geworden, der hauptsächlich Kaffee und Zuckerrohr anbaute. Er besaß über einhundert afrikanische Sklaven, wobei er für damalige Zeiten recht aufgeklärt war. Er behandelte seine Sklaven gut und gewährte ihnen ein gewisses
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